Wahlen in Birma: Show oder Chance?
Weder frei noch fair: Erstmals seit 20 Jahren lassen die Militärs in Birma am Sonntag wählen. Dennoch gibt es Menschen, die an die Chance der Abstimmung glauben.
RANGUN taz | "Diese Wahlen sind ein Monster", antwortet U Min Swe, ein älterer birmanischer Schriftsteller auf die Frage, was es mit den Wahlen vom 7. November auf sich habe, den ersten seit zwanzig Jahren. "Damals, im Mai 1990, herrschte hier Wahlfieber. Auf den Straßen sah man Menschen in orangefarbenen T-Shirts, sie trugen Hüte wie die Reisbauern", erinnert sich der Schriftsteller. Der Hut war das Symbol der Nationalen Freiheitsliga (NLD), der Partei Aung San Suu Kyis, die als Oppositionsführerin damals wie heute unter Hausarrest steht.
Der Hut war 1990 auch das NLD-Symbol auf den Stimmzetteln. Die Partei gewann über 80 Prozent, doch die Militärs ließen das Parlament nie zusammentreten. "Sie versuchten, die Partei zu zerschlagen und ihre Führerin, die Tochter unseres Nationalhelden, zu zermürben. Und nun nehmen sie wieder Anlauf, um ihre Herrschaft zu legitimieren. Und diesmal soll nichts schiefgehen", sagt U Min Swe.
Das Monster, das U Min Swe eigentlich meint, ist das Militär, das diese wie die vorige Wahl in Szene setzte. Es wird heute repräsentiert durch Than Shwe, den Obersten General, der für viele Birmanen die Verkörperung eines Ogres ist, eines Menschen verschlingenden Ungeheuers aus der Sagenwelt des Landes.
Monströses Verfahren
Das Land: Der südostasiatische Vielvölkerstaat Birma wird seit 1962 von einer Militärjunta regiert. Das rohstoffreiche Land, doppelt so groß wie Deutschland, ist einer der ärmsten und korruptesten Staaten Asiens. Die Junta nannte 1989 das Land mit heute etwa 50 Millionen Einwohnern offiziell in Myanmar um. Wegen der mangelnden demokratischen Legitimation der herrschenden Generäle benutzen insbesondere oppositionelle Kreise weiterhin den alten Namen Birma (englisch: Burma). Westliche Staaten belegen die Regierung in der neu geschaffenen Hauptstadt Naypyidaw seit Jahren mit Sanktionen.
Die Wahlen: Die jetzigen Wahlen, die ersten seit 20 Jahren, wurden schon vor Wochen in 3.400 Dörfern der ethnischen Minderheiten abgesagt - offiziell aus Sicherheitsgründen. Dahinter stehen ungelöste Konflikte über die politische Vertretung der Minderheiten, die ein Drittel der Bevölkerung umfassen. Diese haben vielfach eigene Streitkräfte und wollen diese erst auflösen, wenn ihre politischen Vertretungen anerkannt sind. Das verweigert die Junta, deren Kandidaten in diesen Gebieten ohnehin mit starker Opposition rechnen müssten.
Die Abschottung: Nicht zugelassen zu den Wahlen sind ausländische Beobachter, außer den akkreditierten Diplomaten. Auch dürfen keine Journalisten einreisen. Am Montag hat die Junta das Internet, das ohnehin nur über von der Regierung kontrollierte Proxyserver zugänglich ist, eingeschränkt. Bereits 2007, bei den Unruhen infolge der Proteste von Mönchen, wurde das Land vom Internet abgekoppelt, um eine Berichterstattung zu verhindern. (han)
Aber auch das Wahlverfahren selbst ist monströs. Auf einen Schlag sind mehr als ein Dutzend Parlamente zu wählen: das "Volksparlament", das ein wenig mit dem Bundestag vergleichbar ist und 440 Sitze hat, dann das "Nationenparlament", gewissermaßen der Bundesrat, und schließlich noch 14 Parlamente für die einzelnen Staaten und Regionen, die etwas den deutschen Bundesländern entsprechen. Und dazu gibt es noch ein Wahlrecht für Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen in bestimmten Regionen. Sie können eine vierte Stimme abgeben.
"Ich verstehe selbst nicht alles, was diese Wahlen betrifft. Wie sollen es dann die einfachen Leute begreifen?", sagt ein Medizinprofessor, der zugibt, dass er die Wahlbestimmungen auch nicht genau studiert habe. Klar ist, dass bereits ein Viertel aller Sitze an Angehörige des Militärs vergeben ist. So gebietet es die Verfassung, die im Mai 2008, kurz nach dem verheerenden Zyklon "Nargis", durch ein Referendum angenommen wurde - offiziell mit fast 100 Prozent. Bei ihren Gegnern heißt sie seitdem "Nargis-Verfassung". Sie ist ein weiteres Monster, das das Militär hervorgebracht hat, eine Katastrophe wie der große Sturm.
Vor Ungeheuern nimmt man sich in Acht. So erklärt sich das verlegene und ängstliche Achselzucken der meisten Menschen, die man auf die Wahlen anspricht - wenn es überhaupt eine Reaktion gibt. Etwa 80 Prozent der Bevölkerung, sagen übereinstimmend U Min Swe und der Medizinprofessor, sind nicht daran interessiert. Es ist eine Mischung aus Unkenntnis, Furcht und traditionellem Desinteresse an allem Politischen. Die verbleibenden 20 Prozent sind entweder überhaupt dagegen oder sie treten dafür ein, zur Wahl zu gehen. Man kann das für zwei Strategien halten, dem Monster Militär den Kampf anzusagen.
U Min Swe wird nicht wählen, da die Wahl von den Machthabern nicht nur zu einem Viertel, sondern schon zu fast 100 Prozent vorherbestimmt sei. Was da stattfinde, sei eine Show für die Weltöffentlichkeit. Er selbst ist alt, hat nichts zu verlieren. Viele andere werden nur wählen, weil sie sonst Nachteile befürchten. Es gibt zwar keine Pflicht, doch der Geheimdienst ist allgegenwärtig, so die weit verbreitete Meinung. Die staatlich gelenkten Medien propagieren die Wahl als eine Entscheidung für das Wohl einer "neuen demokratischen Nation" und gegen die aus dem Ausland gesteuerten "destruktiven Elemente".
Das richtet sich gegen Aung San Suu Kyi und die NLD. Die Partei hält die Verfassung für undemokratisch und die Bestimmung, die die Oppositionsführerin von einer Kandidatur ausschließen, für ehrenrührig. Daher hat sie sich nicht für die Wahlen registrieren lassen. Somit existiert sie offiziell nicht mehr. Aug San Suu Kyi hat durch einen Sprecher aus dem Hausarrest erklären lassen, sie würde unter diesen Umständen auch dann ihre Stimme nicht abgeben, wenn sie wählen dürfte. Damit ist sie die Symbolfigur einer Kampagne, die in vielen Städten für einen Boykott wirbt, etwa mit auf Wänden geschriebenen Slogans oder sogar mit eigens gedruckten T-Shirts.
Yi Yi Khin ist ganz anderer Meinung. Sie arbeitet bei Myanmar Egress, einer Organisation, die sich so etwas wie die Verbreitung von Grundlagen in Staatsbürgerkunde auf die Fahnen geschrieben hat. In den staatlichen Schulen wird das nicht gelehrt. Die hier angebotene Fortbildung ist schon von tausenden, überwiegend jungen Universitätsabsolventen besucht worden. Außerdem hat die Organisation geholfen, dass sich im Vorfeld der Wahlen Parteien gegründet haben, und sie hat eine CD mit Erläuterungen zur Stimmabgabe verteilt.
Hoffnung auf Freiräume
Das Hauptargument der jungen Frau, die in Singapur studiert hat, allerdings darauf verzichtete, dort Karriere zu machen: "Auch wer nicht wählen geht, trifft eine Wahl. Er vergrößert die Anzahl der Teilnahmslosen und spielt den Machthabern in die Hände." Natürlich sei die Verfassung alles andere als perfekt, und natürlich werde nach den Wahlen nicht sofort alles besser. Aber die Freiräume für die Arbeit vieler Nichtregierungsorganisationen würden sich vergrößern, wenn, ja wenn die Resignation überwunden wird. Man merkt, dass sie diesen Vortrag schon häufig gehalten hat.
Doch wer oder was steht zur Wahl? Von Wahlkampf ist nichts zu spüren. Auch Tage vor der Wahl säumen keine Plakate die Straßen der Metropole. Nur auf den riesigen Flächen werben wie immer Frauen für Kosmetik, Küchengeräte und Instantkaffee. Erst bei genauem Hinschauen fällt die Parteireklame auf, die an fast allen großen Kreuzungen der Stadt und an vielen Laternenpfählen zu sehen ist. Sie zeigt einen Löwen, den Chinde. Touristen sehen diese Tiere auch an den Eingängen zahlreicher Pagoden. Stark, wie sie sind, wachen sie dort, um böse Geister abzuwehren. Hier werben die Löwen für die Partei, die das Militär gegründet hat: die Stärke- und Entwicklungspartei der Union (USDP). Sie hat die meisten Mitglieder, das meiste Geld und stellt als einzige in allen 330 Wahlbezirken Kandidaten auf. Für Leute wie dem Schriftsteller Swe Min ist klar, dass sie auch die meisten der 330 nicht direkt vom Militär besetzten Sitze im Parlament gewinnen wird.
Der Löwe ist verhasst
Andere wie Yi Yi Khin meinen, dass sich die Regierung wie schon vor zwanzig Jahren verrechnen könnte. Die neue Partei mit dem Löwen hat den Namen einer Massenorganisation übernommen, die vor Jahrzehnten von den Machthabern gegründet wurde. "Diese Organisation ist verhasst, seit ihre Mitglieder vor drei Jahren bei der Niederschlagung der Mönchsdemonstrationen mitgewirkt haben." Das sagt nicht nur Yi Yi Khin.
Selbst wenn einzelne Kandidaten angesehen seien und sich durch den Bau von Straßen und der Renovierung von Schulen beliebt machen wollten, die Partei sei gänzlich unten durch. Dasselbe gilt für das Löwensymbol, das alle Büros der staatlichen Verwaltung ziert. Diese Partei zu wählen dürfte den meisten nicht in den Sinn kommen. Die etwa 30 registrierten kleineren demokratischen Parteien könnten, so hoffen Optimisten, bis zu 40 Prozent der Sitze bekommen und so eine starke Opposition bilden.
Damit wäre das Monster zwar noch nicht besiegt, doch es hätte an Macht verloren. Es könnte sich langsam zurückziehen und einer vielfältigen, zivileren Gesellschaft Platz machen. Ob das eintritt, wird sich nach dem 7. November zeigen - etwa im Jahr 2015. Dann stehen die nächsten Wahlen an.
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