Wätterschmöcker aus dem Muotatal: Wetterriechen im Dung und Holz

Zweimal im Jahr sagen die „Wätterschmöcker“ voraus, ob es kalt wird oder warm, ob es regnet oder stürmt. Getier und Pflanzen geben ihnen die Hinweise fürs Wetterorakel.

Die sechs Wetterpropheten mit der Siegertrophäe. Bild: Michael Marek/Sven Weniger

„Frau Holle kommt bis zum nächsten Frühjahr kaum zur Ruhe.“ Schöne Aussichten! Das Wetter und seine Kapriolen lieferten schon immer Bauernregeln mit Comedy-Potenzial. Doch im Herzen der Innerschweiz nimmt man die Natur besonders ernst – tierisch ernst. Maulwürfe, Murmeltiere, Würmer und Ameisen werden „befragt“ von Männern mit Rauschebärten und weißem Haar.

Sechs Alm-Öhi-Typen, die regelmäßig im Boden buddeln und Dung befingern, um kundzutun, ob es in den nächsten sechs Monaten zu heiß, zu kalt, nass oder trocken wird, ob aus heiterem Himmel gar ein Donnerwetter bevorsteht.

Jeweils im Oktober und April blicken alle Augen im Alpenländle nach Schwyz. Dann treffen sich dort die „Wätterschmöcker“ aus dem Muotatal. Vor TV-Kameras und Zuschauern, die den Kreissaal der Kantonsstadt bis auf den letzten Platz füllen, tragen die Herren, die das Wetter „schmecken“ können, ihre Prognosen vor.

Ein elitärer Zirkel fortgeschrittenen Alters in Jodeltracht, mit zerfurchten Wangen, stoischen Gesichtern und seltsamen Spitznamen wie Sandstrahler, Steinbockjäger, Missionar, Musers, Tannzapfen und Naturmensch.

Den Rest des Jahres sind der Holdener-Martin, Suter-Peter, Hediger-Kari, Holdener-Alois, Horat-Martin und Reichmuth-Karl also draußen in den Alpen zwischen Bergtann und Edelweiß unterwegs – hacken Brennholz, treiben Kühe, verhökern Sensen und spüren dabei im Vorübergehen kleinste Regungen der Umwelt auf, was Wettersatelliten und Computervorhersagen in hundert Jahren nicht auf die Reihe kriegen werden.

Vor einer Woche haben die Wettergurus vor rund 1.000 Zuschauern ihre Prognosen für das nächste halbe Jahr vorgetragen.

Karl Reichmuth, Gewinner der Sommer-Herbst-Prognose 2013, prophezeit ein paar schöne Novembertage, danach tiefen Winter mit heftigem Schneefall schon im Dezember, der sich bis in den Frühling hinzieht. Einem frühen Frühling gibt Karl Reichmuth keine Chance, dagegen kommen „Wintersportler alle auf ihre Rechnung“.

Martin Holdener („Musers“) sieht einen herrlichen Spätherbst kommen, „sodass an den Wäscheleinen die Korsetts gut trocknen und einen angenehmen Herbstduft bekommen“. Seine Prognosen hat der 50-jährige Wetterfrosch aus dem Verhalten von Feldmäusen und Regenwürmern „herausgelesen“. Je tiefer diese graben, desto kälter wird’s. Und die Tierchen gruben bereits im Oktober so tief, dass er sie kaum noch fand. Zu Weihnachten fällt pünktlich Schnee, der den ganzen Winter durch liegen bleibt, meint Martin Holdener. Danach wird es frostig.

Wohin neigen sich in diesem Jahr die Zweige der Nadelbäume, wie dicht ist das Fell der Feldmäuse, sind die Ameisen besonders aktiv? Naturmensch Hediger beobachtet Holz, Ohrenkneifer und Schnecken; Martin Holdener stellt Mäusen, Maulwürfen und Regenwürmern bis ins Erdreich nach.

Dabei begnügen sie sich nicht mit Tipps im Ungefähren. Zu jedem Monat müssen sie etwas aussagen. So sind die Regeln. Ob und wann wird es dann schneien, regnen, windig sein. Wann scheint die Sonne wie heiß, wo legt sich Nebel über die Täler. Wird der Dezember weiß oder mild, der Oktober golden oder bleiern. Wer gar einzelne Tage präzise vorhersagt, punktet extra. Denn darum geht es auch: Der Wätterschmöcker, der die meisten Treffer setzt, hat gewonnen, ist sozusagen der Ober-Petrus fürs nächste halbe Jahr.

Schwarz und weiß zum Nachlesen

Der Suter-Peter ist 86 und war schon bei der Vereinsgründung 1947 dabei, als zwei Muotataler Bauern nach ständigem Zank darüber, wer denn nun was und was nicht vor Monaten angekündigt hatte, vereinbarten, ihre Prophezeiungen künftig aufzuschreiben, um die Wahrheit später schwarz auf weiß nachlesen zu können. So begann alles.

Die sechs Männer, im Alltag oft so schweigsam wie Steinböcke auf der Hochalp, müssen im MythenForum zu Schwyz ihre Prognosen aber nicht nur öffentlich, sondern auch humoristisch vorstellen – so steht es in den Vereinsstatuten. Denn nicht nur für die beste Vorhersage gibt es die Punkte der Jury, die man braucht, um am Ende die Wetternase vorn zu haben. Auch der Witz des Vortrags wird bewertet. Dem Gremium aus lokalen Honoratioren sitzt übrigens passenderweise ein Pfarrer vor. Der katholischen Kirche wird ja trotz mancher Bischöfe gemeinhin ein guter Draht zum Himmel nachgesagt.

Martin Holdener sieht einen warmen Nikolaustag, viel Schnee, schönes Wetter und bittere Kälte auf uns zukommen. Dagegen wurde es im letzten warmen Sommer „sogar den Mäusen zu heiß, und sie wanderten in den EU-Raum ab“. Seine Prognosen hat der 50-jährige Wetterfrosch aus dem Verhalten von Feldmäusen und Regenwürmern „herausgelesen“.

Der neue Wetterkönig

Je tiefer diese graben, desto kälter wird’s. Und die Tierchen gruben sich tief ins Erdreich („Von Mitte Januar an ist es sehr kalt. Die Bankkonten auf den Schweizer Banken gefrieren für längere Zeit ein“, der Frühling 2014 ist „mittelmäßig, den Frauen kommt der Frühlingstrieb eher spät“). Ob man Holdener trauen kann? Mit seiner Sommer- und Herbstprognose 2013 jedenfalls wurde er nur Letzter, Karl Reichmuth wurde zum neuen Wetterkönig gekürt („tiefer Winter mit heftigem Schneefall schon im Dezember, der sich bis in den Frühling hinzieht“).

Dass hier trotzdem ernsthaft Wettervorhersage betrieben wird und keine Spökenkiekerei, darauf bestehen alle sechs Kontrahenten, die zwar einander kollegial verbunden sind, sich aber niemals gegenseitig in die Karten schauen lassen. 80 Prozent ihrer Vorhersagen träfen im Schnitt zu. Da hielten die Meteorologen mit all ihrer Technik nicht mit. So reagieren Hediger und Co auch empfindlich auf jegliche Herablassung der Techno-Wetterprofis.

Martin Holdener bestätigt trocken, man habe Jörg Kachelmann, der früher auch dem Verein angehörte, als bis heute einziges Mitglied hinausgeworfen, weil er sich über die Wätterschmöcker lustig gemacht hatte. Sich selbst durch den Kakao zu ziehen kommt dagegen bei der Jury und den Zuschauern gut an.

Ein großer Fehler

Kari Hediger, erst seit drei Jahren dabei und damit trotz seiner sechzig Jahre der Grünschnabel der Wetterfrösche, kann auch seinem letzten Platz bei der vorigen Winterprognose noch Gutes abgewinnen. Er habe einen großen Fehler gemacht, als er ausgerechnet „einen Ohrwurm mit nur einer Zange“ für einen Wettertipp heranzog, sagt er mit einem Augenzwinkern. Doch wiege er die erfahrenen Kollegen mit seiner vermeintlichen Schwäche nun in Sicherheit und werde „beim nächstes Mal von hinten angreifen“. Der Sieger erhält den Wanderpokal, eine geschnitzte Waldeule.

Mit 10 Franken Jahresbeitrag werde man Vereinsmitglied, erklärt Dauergewinner Suter. Auch Ausländer seien zugelassen. Zwar verstünden diese kein Wort, da die Prognosen im harten Dialekt der Region vorgetragen werden. Köstlich amüsieren würden sie sich aber in jedem Fall. Und nach der Show gibt es für alle jedes Mal ein warmes Nachtessen – im Saal des MythenForums und damit garantiert ohne Eis und Schnee.

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