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Wachsende Unruhen in Marokkos spanischer Enklave Melilla

■ Zurückweisung eines Moslems an der marokkanisch–melillenischen Grenze / Durch die neue spanische Ausländersgesetzgebung fühlen sich die Moslems in Melilla diskriminiert

Berlin (taz) - „Die Spanier interessieren sich nicht sonderlich für Melilla“, erfuhr die Madrider Tageszeitung El Pais jüngst durch eine Umfrage. El Pais fand das bedauerlich, denn neben dem Baskenland, in dem die staatliche Präsenz immer wieder durch ETA– Attentate in Frage gestellt wird, und neben Andalusien, in dem die Tagelöhner immer radikaler werden, haben sich die beiden spanischen Enklaven Ceuta und Melilla in Nordafrika innerhalb eines Jahres zu einer weiteren Unruheregion entwickelt. Straßenschlachten mit spanischer Polizei, wachsende Spannungen zwischen der christlichen Bevölkerungsmehrheit und den Moslems, die etwa ein Drittel der Bevölkerung bilden, sowie deren wachsender Ärger, wie Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden, haben aus den bis dato so friedlichen Enklaven ein Pulverfaß gemacht. Anlaß für die jüngsten Auseinandersetzungen war Ende Januar die Zurückweisung von Abdelaziz Ouriachi an der marokkanisch– melillensischen Grenze. Ouriachi ist der Schwager des Moslem– Führers von Melilla, Aomar Mohamedi Dud–u. Dud–u sah sich daraufhin in seiner Sicherheit bedroht und flüchtete nach Nador, eine marokkanische Kleinstadt nahe Melilla. Der Protest gegen den Grenzzwischenfall machte sich in Demos der Dud–u–Anhänger Luft, die zu heftigen Straßenschlachten mit der Polizei führten und mehrere Verletzte forderten. 24 Moslems wurden festgenommen und wegen Aufruhrs angeklagt, neun davon sind immer noch in Haft. Auch gegen den nach Nador geflüchteten Dud–u wurde ein Haftbefehl wegen Aufruhrs ausgestellt. Nachdem am vergangenen Freitag der Moslem Mohamed Hammu seinen Verletzungen erlag, die er bei einer Auseinandersetzung mit Christen erhalten hatte, stieg die Spannung in der Stadt ein weiteres Mal. Angefangen hatte alles mit einer Dummheit der spanischen Regierung. Die hatte nämlich im Sommer 85 ein neues Gesetz erlassen, das die Zahl der sich halblegal oder illegal in Spanien aufhaltenden Ausländer begrenzen sollte. Durch die neue Ausländergesetzgebung sahen jedoch die Moslems in Ceuta und Melilla ihren Status bedroht. Sie befürchteten, jederzeit von den spanischen Behörden nach Marokko abgeschoben werden zu können. Zwar stammen die meisten von ihnen aus Marokko, jedoch betrachten sie beide Städte als ihre Heimat. Der spanischen Regierung gelang es nur mäßig, die Atmosphäre zu entspannen, trotz der Zusage, über die Gewährung der spanischen Staatsangehörigkeit zu verhandeln. Der jetzt erarbeitete Vorschlag, der innerhalb eines Monats vom spanischen Ministerrat abgesegnet werden soll, sieht vor, daß alle Moslems von Ceuta und Melilla einen Personalausweis erhalten, der ihnen Bewegungsfreiheit innerhalb des spanischen Territoriums gestattet, aber nur zehn Jahre gültig ist. Ob damit die Ruhe wieder einkehrt, ist allerdings fraglich. Denn während die Moslems noch vor einem Jahr nicht müde wurden, zu betonen, daß sie keine Marokkaner werden wollen, mehren sich nun die Stimmen, die einen Anschluß der beiden Städte an Marokko befürworten.

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