WÜRDIGUNG: Französisches Damenopfer
■ Edith Cresson mußte die Rolle der Strohfrau Mitterrands bis zum bitteren Ende spielen. Nun ist sie entlassen — beladen mit all seinen Sünden
Jeanne d'Arc wurde noch lichterloh verbrannt — Edith Cresson ließ mann auf kleiner Flamme verschmoren. Ganz langsam, bis zum Schluß, bis gestern vormittag 8 Uhr 45. Die erste und für längere Zeit wohl auch letzte Regierungschefin einer französischen Republik wurde entlassen — in Ehren versteht sich und beladen mit allen Sünden des Präsidenten.
Vielleicht hätte die Frau mit dem schnellen Mundwerk das Zeug zu einer Eisernen Lady – à la fran¿aise — gehabt. Aber Edith Cresson hatte eben keine konstitutionsschwache Queen über sich, sondern einen allmächtigen Potentaten. Und der ließ keinen Gott und auch keine Göttin neben sich zu. Fran¿ois Mitterrand, dieser Politiker florentinischen Typs, hat sich bei der Kür seiner Minister noch stets an den Ratschlag Machiavellis gehalten: „Wer in seinen Händen die Verantwortung für den Staat eines anderen hält, darf nie an sich selbst, sondern immer nur an seinen Herren denken.“ Deswegen mußte Michel Rocard gefeuert werden. Er war zu offensichtlich ein möglicher Nachfolger Mitterrands. Edith Cresson dagegen fügte sich in die Rolle der getreuen Magd. Naturgemäß immer in Gefahr, die Sündengeiß für den Alten spielen zu müssen. Edith Cresson verfügt über die seltene Eigenschaft, mit heruntergezogenen Mundwinkeln lächeln zu können. Sie tat wie ihr befohlen.
Mitterrand wollte einen „neuen Elan“ für seine zweite Amtszeit und erwartete von der nicht mundfaulen Ex-Industrieministerin „lautstarke Debatten“ — kurz: all das, wozu er nicht mehr in der Lage war. Aber gleichzeitig setzte er der neuen Premierministerin gegen deren Willen die alten „Partei-Elefanten“ ins Kabinett: Finanzminister Bérégovoy, Erziehungsminister Jospin, Außenamtschef Roland Dumas. Allesamt machtverwöhnte Nebenregenten, die ihrer nominellen Chefin im besten Fall Politesse zugestanden, Solidarität niemals. Wie sollte die Premierministerin eine sozialere Budgetpolitik führen, wenn der oberste Schatzmeister Bérégovoy munter Juliustürme für seine eigene Regentschaft errichtete? Wie sollte sie die „Moral der Linken“ inkarnieren, wenn die Männer des Präsidenten bei allen Affären auf Deckung zählen konnten?
Auch der sozialistischen Parteibasis paßte die Frau an der Regierungsspitze nicht lange. Die Genossen wollten keine martialischen Reden über west-östliche Endkämpfe auf dem Elektronikmarkt hören, sondern Fakten auf dem Arbeitsmarkt sehen. Bei inzwischen offiziell drei Millionen Arbeitslosen keine unanständige Forderung. Statt dessen kamen Steuergeschenke für den Mittelstand, höhere Sozialbeiträge, um das Loch der Sozialversicherung zu stopfen, und diverse, in der Tat „lautstarke Debatten“: etwa, als Cresson die Japaner als arbeitswütige Kampfameisen karikierte oder alle Angelsachsen als latent schwul outete.
Die Einführung von gesetzesfreien „Transitzonen“ auf Flughäfen und ein Ausrutscher über „Charterflüge“, mit denen man die illegalen Einwanderer wieder über die Grenze zu schaffen habe, brachte Edith Cresson um die Sympathien der Anti-Rassismus-Bewegung. Die Affäre um den Pariser Krankenhausaufenthalt von PFLP-Chef Georges Habasch wurde zum letzten Beweis für die Unfähigkeit Cressons aufgewertet, auf ihre Minister aufpassen zu können. Nachdem Cressons Vorgänger Laurent Fabius den Parteivorsitz ergattert hatte, wurde aus der Skepsis des Parteiapparats formvollendete Sabotage.
Aber was wurde da sabotiert? Nicht allein das Protokoll war auf eine Frau im Palais Matignon unvorbereitet. Wenn Edith Cresson den Raum betrat, wurde „Madame le premier ministre“ angekündigt. Nein, auch die Herren Kollegen hatten offensichtlich Schwierigkeiten zu akzeptieren, daß da eine Frau Verantwortung trug. Und genauso Fehler machte wie beschwänzte Politiker. Man muß erlebt haben, wie Cresson von den bürgerlichen Deputierten niedergeschnauzt, -gebrüllt, -gegiftet wurde, um zu verstehen, daß da nicht nur Zweifel an ihrer Kompetenz mit im Spiel waren. Da fauchte der kleine Unterschied.
Ungeachtet der Angriffe, die sie weniger cool einsteckte, als es den Anschein hatte, ungeachtet auch sämtlicher Popularitäts-Negativrekorde machte Edith Cresson brav weiter, zuletzt ohne größere Pannen und schlagzeilenträchtige Reformen. Bis die Sozialisten bei den jüngsten Regionalwahlen auf 19 Prozent kamen. Eben jene 19 Prozent positiver Stimmen, die Edith Cresson zuletzt in den Umfragen bekommen hatte. Nicht unbedingt ein Zusammenhang, aber Grund genug für Fran¿ois Mitterrand, seine Dame zu opfern. Um selbst im Spiel zu bleiben.
Was bleibt? Wenn Reporter sie maliziös auf die neuesten katastrophalen Umfragen ansprachen, antwortete Madame Cresson gewöhnlich: „Ich bin nicht hier, um gute Umfragen zu haben. Die Regierung arbeitet.“ Und in den gut zehn Monaten ihres Interregnums hat sie gewiß einiges geleistet. Die Zentralverwaltungsrepublik wurde gestutzt. 62 Behörden wurden in die Provinz verlagert. Inklusive der gloriosen Politkommissarschule ENA — deren Schüler daraufhin protestierten, als wäre ihnen die Verbannung nach Sibirien angekündigt worden.
Auch wenn das mit großem Trara angekündigte Superministerium aus Finanzen und Industrie auf sich warten ließ, so wurde unter Cresson Industriepolitik in der besten Tradition von Saint-Simon und Pompidou betrieben. Zusammen mit ihrem Ratgeber Abel Farnoux machte sich Edith Cresson daran, industrielle „Brückenköpfe“ aufzubauen: Thomson, die französische Siemens, bekam Zutritt zu den Laboratorien der staatseigenen Atommonopolisten CEA, und die Elektronikfirma Bull wurde mit IBM verkuppelt. Die Patrons waren's zufrieden: „Selten hat sich ein Premierminister den Problemen der Unternehmen so aufmerksam gezeigt wie Edith Cresson“, lobte Peugeot-Chef Jacques Calvet. So war es ein schöner Zufall, daß das Ende der Amtszeit von Edith Cresson nur durch den Besuch der Hannoveraner Industriemesse herausgezögert wurde.
Das bleibt. Und noch etwas. Das Bild einer Frau, die von einem alternden Herrscher ins Feuer geschickt wurde; einer Frau, die benutzt wurde, solange sie attraktiv war, und dann — weggeworfen wurde. Wie üblich, wie immer. Adieu, Madame le premier ministre.
P.S.: Die einzige Stimme, die sich gestern zur Verteidigung von Edith Cresson erhob, kam von einer Frau. Die Schriftstellerin Marguerite Duras, eine gewöhnlich überschwengliche Bewundererin von Fran¿ois Mitterrand, schreibt im 'Nouvel Observateur‘: „Ich fürchte, Mitterrand wird die Kleine fallenlassen. Aber wenn er das macht, rede ich nicht mehr mit ihm. [...] Sie zu entlassen heißt, der Rechten ein Pfand zu geben, zu sagen: Meine Herren, es geschehe ganz wie Sie wünschen. Damit wird deren Anti-Feminismus nur noch gestärkt. Als sie (Edith Cresson) zur Premierministerin ernannt wurde, war es doch die Frau, die man hat ankommen sehen. Und genauso ist es jetzt auch vor allem die Frau, die nun gehen muß. Das erinnert mich an die Hexen bei Michelet: Man hat sie verbrannt. Für mich ist die Beseitigung von Edith Cresson ein entsetzlicher Gedanke. Mitterrand kann so eine Taktlosigkeit nicht begehen.“ Alexander Smoltczyk
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