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Archiv-Artikel

WOLFGANG GAST LEUCHTEN DER MENSCHHEIT Die RAF als Amour fou

Geht es um einen neuen Blick auf zurückliegende Ereignisse, auf den Frankfurter Historiker Gerd Koenen ist Verlass. In der Süddeutschen Zeitung hat er sich jetzt den neu erschienenen Band mit dem Briefwechsel der Jahre 1968 und 1969 zwischen der späteren RAF-Frau Gudrun Ensslin und dem Schriftsteller Bernward Vesper vorgenommen („Notstandsgesetze von deiner Hand“, Edition Suhrkamp).

Es ist das Jahr nach der Studentenrevolte, und in Frankfurt am Main brennen Kaufhäuser. Ensslin wendet sich von Vesper ab. Ihr neues Idol heißt Andreas Baader, mit dem sie und zwei weitere Beschuldigte im sogenannten Kaufhausbrandprozess angeklagt ist. Die mehr oder weniger offizielle Geburtsstunde der „Roten Armee Fraktion“ ist aber erst am 14. Februar 1970 mit der Befreiung des inhaftierten Baader. Anhand der Briefe glaubt Koenen, der sich selbst einst der „revolutionären Betriebsarbeit“ widmete: „Wir mögen uns noch so sehr dagegen sträuben: Die Geschichte des deutschen Terrorismus, die sich zentral um das Urpaar Baader-Ensslin gruppiert, war eben auch die Geschichte einer Amour fou, einer wahnsinnigen, wenn man so will: erfüllten Liebe.“

Dass Ulrike Meinhof in Koenens Text nicht erwähnt wird, sei am Rande vermerkt. Historische Baustellen in Sachen APO, RAF und Querverweise auf die Stasi gibt es derzeit diverse. Eine der prächtigeren war Sonntagabend in der ARD zu sehen. Erst gab es „Der Baader-Meinhof-Komplex“ nach dem Buch von Stefan Aust (Hoffmann und Campe, 1985). Dann wurde bei Anne Will über „Bomben, Terror, Tote – Der ‚Krieg‘ der Bürgerkinder“ diskutiert. Michael Buback sieht nach der Enttarnung des Benno-Ohnesorg-Todesschützen Karl-Heinz Kurras als Mitarbeiter der Staatssicherheit Parallelen zum nicht geklärten Mord an seinem Vater im Frühjahr 1977. In beiden Fällen seien Geheimdienste verstrickt, hätten die RAF möglicherweise instrumentalisiert. Bayerns Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber assistiert: Seit dem Fall Kurras könne man man nichts mehr ausschließen. Es sei „die Zeit der Systemauseinandersetzung“ gewesen. Geheimdienst oder Amour fou? Dann doch lieber Liebe und Besessenheit.

Der Autor ist Redakteur der taz Foto: privat