WOCHENÜBERSICHT: BÜHNE : Esther Slevogt betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen
Auch der Surrealismus ist nur eine Art Realismus. Das hat schon Buñuel gewusst, der jetzt auf Berliner Bühnen sickert. In der Volksbühne persifliert Frank Castorf in „Forever Young“ eine berühmte Szene aus dem „Andalusischen Hund“. In der Schaubühne nimmt sich Thomas Ostermeier der Geschichte des „Würgeengels“ an, freilich realistisch geerdet und auf hiesige Hauptstadtverhältnisse zugeschnitten vom niederländischen Dramatiker Karst Woudstra. Eine Gesellschaft von Reichen und Schönen feiert in der Villa eines Politikers. Doch das Fest hört nicht auf, den Gästen gelingt es nicht, nach Hause zu gehen. Die Gründe dafür sind unerklärlich, und der Würgegriff des unsichtbaren Engels, der sie im Griff hat, wird immer enger. Die Premiere des klaustrophobischen Gesellschaftsstücks ist am 1. November. Nicht ganz wirklich geht es auch im Stück „Die Blinden“ zu, das der belgische Symbolist Maurice Maeterlinck im Jahr 1890 schrieb. Zwölf Blinde suchen einen Priester. Im Theater Zerbrochene Fenster inszeniert Gunda Mapache mit der con.t.act company das Stück als Variation über das Individuum in einer visuell definierten Welt. Das Schöne an den Klassikern ist, dass sie durch die Jahrtausende ihre Ähnlichkeit mit der Welt nicht verlieren. In der „Antigone“ des Sophokles wird das Recht des Einzelnen gegen das Recht des Staates behauptet. Folke Brabant sieht in der jungen Frau eine Ikone der Rebellion im Zeitalter des Kriegs um Öl. Seine Inszenierung an der Vagantenbühne basiert auf Jean Anouilhs Fassung des Dramas. Im Übrigen eröffnet am Freitag das Hebbel-Theater seine neue Spielzeit, die unter dem etwas großspurigen Motto „Kunst und Verbrechen“ steht. Es soll um Freiheit und Grenzen von Kunst gehen, lesen wir. Die Wiedergeburt des Hebbel aus dem Geist Putins und Dieter Bohlens? Wir wollen es nicht hoffen.