WIR LASSEN LESEN: „Dumme Frage“
■ Von Boris Becker bis Kati Witt: Interviews, die für Aufsehen sorgten, gibt es jetzt gebündelt als Buch
Mein schönstes Ferienerlebnis: Ernst-Dieter Lueg befragt den damaligen Wirtschaftsminister Karl Schiller. Am Ende des Interviews wünscht der ARD-Mann dem SPD-Politiker: „Gute Verrichtung!“ Täglich sind wir mit Stichwortsouffleuren in der Zeitung konfrontiert, mit Mikrofonhaltern im Radio und Afterjournalisten auf der Mattscheibe.
Es geht auch anders. Einer, der Standardsituationen locker umdribbelt und Spielfreude bei der Befragung aufkommen läßt, hat jetzt seine Interviews mit Prominenten aus der Welt des Sports veröffentlicht. Wie André Müller in seinen Gesprächen mit Theaterleuten und Literaten, hat Arno Luik für den Sport einen neuen, aufregenden Typus der Befragung geschaffen. Am meisten Furore machten dabei sicherlich die Aussagen von Boris Becker Anfang 1990 (Hafenstraße, Bundeswehr etc.), aber auch Beckenbauer, Navratilova, Klinsmann, Stich, Tiriac, Witt oder Messner zeigen: Sportler müssen nicht zwangsläufig tumbe Toren sein, sondern können durchaus über den Tie-break oder das 1:0 hinausdenken.
Es zeigt sich auch, daß sich in diesen Fällen der Interviewer nicht klein macht, nicht devot hinter den Gesprächspartner zurücktritt. Nicht allen schmeckt das, und der schwäbische Sportwissenschaftler Helmut Digl sieht gar manchmal („Herr Messner, sind Sie ein sympathisches Schwein?“) die Grenzen des „guten journalistischen Geschmacks überschritten“. Mal mit provokanten Einstiegsformulierungen, mal mit sanftem Verständnis ('Washington Post‘: „sehr empfindsam“) bringt Luik seine Partner dazu, sich zu öffnen: „Herr Messner, ich habe einen Verdacht: Sie und ihre Abenteuer haben sich überlebt“, oder: „Boris, dürfen wir um Einlaß in ihre Gefühlswelt bitten?“
Da erweist sich der Frager immer wieder bestens mit Archiv- und Recherchematerial präpariert, streitet, widerspricht, spult aber nie fliegenbeinzählerisch seinen Fragebogen ab. Er läßt nicht locker, aber dem Interviewten eine Chance, Gedanken zu entwickeln. Er versetzt sich in die Perspektive des anderen, den er nie plump entlarven will — oft genug entlarven sich die Interviewten selbst. So bekommen wir Einblick in den sonnenköniglichen Größenwahn von Bergfex Messner, lernen Beckenbauer als kaiserlichen Esoteriker kennen, sehen in Ben Johnson das stotternde Muttersöhnchen oder entwickeln Mitgefühl für Honi- Schätzchen Witt in ihrer Post- DDR-Tristesse.
Und da gibt es die weltweit zitierten Passagen aus der Becker- Offenbarung über Hamburgs Hausbesetzer: „Ich glaube, daß ich mit diesen Leuten etwas gemeinsam habe — mehr als mit vielen in meiner Welt.“ Oder den für nationale Fußballfans bedeutsamen Stein des weisen Uli, der über Franz B. sagt: „Für mich ist er kein Trainer... Er hat kein Rückgrat, keine Stärke.“ Ganz im Geiste des investigativen Journalismus wird hier vorgeführt, daß das Interview sowohl Recherche- als auch Darstellungsform ist. Die evozierende „Hervorlockung“ (wie das in der qualitativen Sozialforschung geschwollen heißt) von „Wahrheit“ ist jedesmal ein Lesevergnügen.
Natürlich ist auch hier der Journalist nicht frei von Eitelkeiten, etwa wenn er sich zum Sprachrohr von Beckers inneren Monologen macht („Ich stand am Fenster, und wenn ich noch einen Schritt gemacht hätte“). Aber wie der Spiegel zum Narziß, gehört wohl ein Stück Übertragung zum Interviewer. Der nämlich hat seine stilistischen Maschen, aber ehrlicherweise legt er sich schon mal mit dem Patienten auf die Couch und verrät dabei einiges über sich selbst (Messner: „Das ist eine dumme Frage.“ Stich: „Gefallen Ihnen meine Antworten nicht?“)
Den Rest verrät ein vom Redaktionskollegen verfaßtes „Selbstgespräch“ als Nachwort, das Luiks Fragetechnik karikiert: Er, der Schwabe, erfahren wir, braucht Kässpätzle als Doping, liebt Pu den Bären und kann noch unbelästigt ohne Sonnenbrille und Perücke durch die Straßen wandeln.
Herr Luik, wir danken Ihnen für diese Gespräche. Max Alberg
Arno Luik: Die 'Sports‘-Interviews. rororo sport 8668, 14,80 Mark.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen