WIR LASSEN LESEN: Macken am Stock
■ Ein Buch über die ewigen Helden der Eisfläche
Das Zeitalter der großen Eishockey-Stars begann am 22. Juni 1934. An diesem frühsommerlichen (!) Tag wurde im bayrischen Ort Hopfen Paul Ambros geboren, den die Welt später nur den „Tiger vom Hopfensee“ nannte. Paul, der in den fünfziger und sechziger Jahren mit dem EV Füssen mehrmals Deutscher Meister wurde, war, wie man im süddeutschen Raum sagen würde, eine „beinharte Sau“. Angesichts seiner „wilden“ Spielweise kanzelte ihn selbst der eishockeyvernarrte Füssener Franziskanerpater Benedikt mit einer diabolischen Strafpredigt ab: „Deam Ambros-Saubua sollte ma amol an'd Ohre hihaua“ — ein echter Eishockeystar eben, der Ambros Paul, wie geschaffen als Einstieg in den Porträtband Die großen EishockeyStars von Horst Eckert.
Denn die Helden des eisigen Flitzesports waren offensichtlich samt und sonders Teufelskerle. Da brachte Vladimir Dzurilla im Tor der CSSR fertig, was nicht einmal Richard Nixon schaffte: Vlado, genannt „Der Hexer“, wandt sich so geschickt im Tor der Osteuropäer, daß die gastgebenden Nordamerikaner schier verzweifelten und ihm stehende Ovationen darbrachten. Dabei, so erzählt die Mär, war der slowakische Zerberus nur per Zufall vom Land- zum Eishockey gekommen, avancierte jedoch nach sage und schreibe nur neun Oberligaspielen für Slovan Bratislava zum Nationalkeeper der erfolgverwöhnten Tschechoslowaken.
Aber auch die Neue Welt besaß ihre Puckgötter. Einen von ihnen, den Kanadier Phil Esposito, befördert Autor Eckert, kurzerhand zum „Genie“. Wahrscheinlich, weil Esposito seinen Kopf nicht nur dazu nutzte, um einen Helm draufzuschnallen. Denn einen Kopfschutz benutzten die Dentalmachos der National Hockey League (NHL) vor zwanzig Jahren noch lange nicht.
Esposito war schlichtweg das, was man einen ökonomisch denkenden Sportler nennt. Wo andere sich die Lunge aus dem Leib liefen, kassierte er knallhart ab. Eckert: „Phil war kein Sprinter..., aber im richtigen Augenblick war er stets in torgefährlicher Position.“ Getreu dem Motto: Wenn du schon die Übersicht verloren hast, mußt du wenigstens den Mut zur Entscheidung besitzen, traf Esposito mit dem Puck in die Herzen der Fans.
Die siebziger und achtziger Jahre bescherten dem aufstrebenden Kufensport gleich eine ganze Reihe von Superstars: Guy Lafleur etwa, der in entscheidenden Begegnungen gern die Spielbande knutschte, oder Mister Eishockey himself, Wayne Gretzky. 23 Seiten lang ist die Laudatio auf „The Great One“, der die Rückennummer 99 zu einem sportlichen Äquivalent der biblischen 666 („the number of the beast“) werden ließ. Schade nur, daß Wayne immer derart soft aussieht, daß er ohne weiteres als amerikanische Antwort auf Roy Black durchgehen könnte.
Horst Eckert breitet in seinem Werk mehr die netten Macken und Wesenszüge seiner „Eishockeystars“ aus als die Usancen des spiegelglatten Busineß. Und jedem Trikot heftet er ein Prädikat an — je weiter man in der Lektüre fortschreitet, desto tüchtiger haut der Porträtist auf den Putz. Nichts und niemand kann ihn nunmehr bremsen. Wie die von ihm beschriebenen Cracks jagt er mit dem Schreibstock von Superlativ zu Superlativ: Die furiosen fünf der Sowjet-Sbornaja — Krutow, Kasatonow, Fetisow, Makarow und Larionow — nennt er im Zeitalter von Tschernobyl den „Superblock“, ihre Landsmänner Michailow, Petrow und Charlamow dürfen sich fortan als „Supertroika“ fühlen. Wladislaw Tretjak schließlich würde heute ganz gewiß nicht mehr im Tor von ZSKA Moskau stehen, sondern für die Treuhand auf Kundenfang gehen. Er ist „der Mann mit den tausend Händen“.
Aber gerade das ist das Schöne an Horst Eckerts Oeuvre. Man kann sich getrost zurücklehnen, abschalten und findet auch den schlimmsten Prügelknaben von einst urplötzlich human und durchaus liebenswert. Jürgen Schulz
Horst Eckert: Die großen Eishockeystars , Copress-Verlag, München 1991, 176 Seiten, 39,80 DM.
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