WILDBAD KREUTH: DIE CSU MUSS SICH MIT SICH SELBST AUSEINANDERSETZEN : Stoiber gegen Stoiber
Sogar die Bauern gehen auf die Straße. Das ist neu. Erstmals wird es bei der alljährlichen Winterklausur der CSU im oberbayerischen Wildbad Kreuth groß angelegte Proteste geben. Keine linksideologischen Berufsnörgler, sondern CSU-Stammkunden, Beamte, selbst eine katholische Jugendvereinigung hat eine Demo angemeldet. Sie fordern mehr Augenmaß bei den geplanten Sparmaßnahmen in Bayern. Ein Augenmaß, das Ministerpräsident und CSU-Chef Edmund Stoiber nach dem Erreichen der Zweidrittelmehrheit bei der Landtagswahl im September abhanden gekommen ist.
Es sei zu befürchten, dass die CSU nach diesem Wahlergebnis vor lauter Kraft nicht mehr laufen könne, hatten die bayerischen Grünen damals orakelt. Es kam schlimmer. Die CSU-Maschine läuft so kraftvoll, dass sie beinahe jeden Keilriemen zerreißt. Wie im Rausch hatte das Stoiber-Team nach der Wahl eigene Reformkonzepte für Bund und Land produziert. Gesundheitsreform, Rentenreform, Reformen der Pflegeversicherung und des Steuersystems, schließlich ein 2,5-Milliarden-Euro-Sparprogramm für den Freistaat. Mit einem verhängnisvollen Maß an Selbstgefälligkeit, aber ohne Absprache mit der Schwesterpartei CDU bei den Bundesreformen und ohne Absprache mit den betroffenen Organisationen bei den Sparbeschlüssen im Land hatte Stoiber die Konzepte präsentiert. Die Folge: Die CDU reagierte verschnupft und watschte den CSU-Chef beim Parteitag in Leipzig ab. Und im Freistaat bläst der Zweidrittelpartei ein Sturm der Entrüstung um die Ohren.
Deshalb wird sich die CSU in Kreuth erst einmal selbst auf Normalmaß zurechtstutzen müssen. Trotz großer Ankündigungen müssen die eigenen Konzepte erneut auf den Prüfstand. Die Logik eines Obolus für Kinderlose zur Finanzierung der Rentenversicherung mag bestechend sein. Wenn die Idee aber nicht mal innerhalb der Union mehrheitsfähig ist, wie soll sie Millionen Rentenzahlern vermittelt werden? Sparen ist selbst im relativ wohlhabenden Bayern zweifellos notwendig und das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts 2006 im Freistaat sicher ein edles. Was aber nützt es, wenn bis dahin in den Kommunen die Lichter aus sind?
Besonders hart wird die CSU am Verhältnis zu ihrer Schwesterpartei arbeiten müssen. Soviel Union war nie, hatte Stoiber während des Bundestagswahlkampfes noch lauthals getönt. Das könnte durchaus prophetisch gewesen sein. In der CDU ist man Querschüsse aus Bayern zwar gewöhnt. Dass Stoiber aber etwa das von der CDU unterstützte Herzog-Konzept gleich mit der Panzerfaust versenkt hat, nehmen die Christdemokraten ihm übel. In Rekordzeit hat der CSU-Vorsitzende sich selbst in die zweite Reihe hinter Angela Merkel katapultiert.
Mit einer gewissen Trotzigkeit der eher stiernackigen Bayern bei ihrer Klausurtagung ist zu rechnen. Der viel zitierte Geist von Kreuth, der seit dem kurzzeitigen Bruch der Fraktionsgemeinschaft während der Klausur 1976 immer wieder beschworen wird, wird in den nächsten Tagen aber wohl eher orientierungslos durch die Gänge des ehrwürdigen Bildungszentrums der Hanns-Seidel-Stiftung spuken. Der Kraftlauf der CSU-Maschine lässt auch innerhalb der Partei die Funken fliegen. Selbst CSU-Grandseigneur Alois Glück kritisierte die Hauruckpolitik des Parteichefs – und wurde prompt vom neuen Generalsekretär Markus Söder niedergebügelt. Macher und nicht Mahner brauche es jetzt, bellte Stoibers neuer Kettenhund.
Den CSU-Chef selbst ficht das alles vermutlich kaum an. Er steht mit weitem Abstand konkurrenzlos an der Spitze der Partei. Trotz Kritik gilt Stoiber hier nach wie vor als der beste Kandidat, für welches Amt auch immer. Gefahr von der bayerischen Opposition droht ebenfalls nicht. Die Erfolgs-Allergiker der Bayern-SPD sind immer noch damit beschäftigt, die Scherben der Landtagswahl aufzulesen. Das Einzige was Stoiber gefährlich werden kann, ist Stoiber selbst. Mit seinen absolutistischen Anwandlungen rüttelt der Landesvater am Fundament seiner Macht. Vom Kruzifixstreit bis zur Entbürokratisierungskampagne hatte es der CSU-Chef bislang immer brillant verstanden, den Nerv seiner Anhänger zu treffen. Die Partei muss in Kreuth versuchen, ihren Vorsitzenden wieder von seinem Zweidrittelsockel zu holen. Ansonsten werden sich viele dieser Anhänger verabschieden – einschließlich der Bauern. HANS OBERBERGER
Der Autor ist Korrespondent von Antenne Bayern im Münchner Landtag