WIEDER WARTEN : Noch ein Coffee to go
Hauptbahnhof, Bahnsteig nach Hamburg. Zehn Minuten vor der geplanten Abfahrt kommt die Durchsage: 20 Minuten Verspätung wegen eines technischen Schadens. Es ist recht voll, und trotzdem reagiert fast jeder hier mit einem routinierten Abgang zum nächsten Coffee to go. Nicht mal ein Wimpernzucken ist den meisten der Verzug wert. Sie scheinen routiniert im Umgang mit dem Warten.
Nur zwei Typen fluchen, was bemerkenswert ist, weil sich mir in solchen Situationen für gewöhnlich niemand anschließt. Wir gucken uns an, grinsen. Die Bahn verbindet. „Immer die gleiche Scheiße“, sagt er. Wenn ich meinen ähnlich gelagerten Unmut gelegentlich auf diese Art zum Ausdruck bringe, reagiert mein Gegenüber für gewöhnlich und schon seit Langem mit der faden Antwort, dass Bahnbashing so was von öde sei. Was stimmen mag. Aber trotzdem irrelevant ist, weil doch kaum ein anderes Bashing derart berechtigt ist wie eben das Bahnbashing. Das sage ich meinem fluchenden Pendant auf dem Bahnsteig, er nickt. Dann holen auch wir uns einen Kaffee.
Auf dem Weg überholt uns eine Frau, die eben noch auf dem Bahnsteig ihren Businesstrolley hin und her rollte. Sie rennt in ein Schuhgeschäft, bemerkenswert zielgerichtet. Hat sie auf die Verzögerung gehofft, ist sie gar erfreut? Plötzlich ergibt die andauernde Unpünktlichkeit der Bahn einen Sinn, ebenso die vielen Ebenen am Bahnhof mit ihren unzähligen Geschäften: Wer ginge denn hier shoppen, wenn er oder sie nicht gerade auf einen längst überfälligen Zug warten müsste? „Die Läden hier stecken mit der Bahn unter einer Decke“, sage ich. Mein Leidensgenosse überlegt, derweil ein junges Paar aus einem Schmuckladen rauskommt – sie mit verklärten Augen, er mit Gewinnergrinsen –, und stimmt schließlich zu.
Der Kaffee kostet jeden von uns 3,50 und schmeckt so lala. TORSTEN LANDSBERG