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Archiv-Artikel

WIE SIND WIR DENN DRAUF? Ein Wunsch nach Aufmerksamkeit in drei Silben

Von AKW

Teenager sind tendenziell wortkarg. Ein- bis dreisilbig fällt etwa die klassische Antwort auf die typische Elternfrage aus, wie’s denn so in der Schule war, nämlich „gut“, „Scheiße“, oder „wie immer“. Bisher jedenfalls. Denn irgendwie sind die Teenies gesprächiger geworden. Wer zwischen 13 und 17 Jahre alt und cool ist, schiebt neuerdings vor jede Antwort noch drei Extrasilben.

„Ganz ehrlich?“, lautet der vielversprechende Einschub, der Elternherzen höher schlagen lässt: Natürlich, mein Schatz! Klar doch! Raus mit der Sprache, pack alles auf den Tisch – was ist da los in der Schule, was liegt dir auf dem Herzen, sprich dich mit deinen alten Eltern ruhig mal so richtig aus! Aber nicht nur als Rückfrage ist „ganz ehrlich“ die Einleitung der Wahl. Auch ganz spontan geäußerte Aussagesätze werden damit vielsagend angeteasert: „Mama, ganz ehrlich? Der Joghurt ist schlecht.“

Und genau da liegt der Hase im Pfeffer: Der Spruch hält keineswegs, was er verspricht. Das meist schnell und in der Betonung mit einer gewissen jugendlichen Aggressivität hervor geschossene „Ganz ehrlich?“ geht nämlich selten einem spannenden Bekenntnis voraus.

Beispiel: Zwei Teeniemädchen in der U-Bahn. „Ganz ehrlich? Meine Haare sehen scheiße aus“, sagt die eine. Antwortet ihre Freundin: „Ganz ehrlich? Mach mal Seitenscheitel. Würd dir voll gut stehen!“

Ganz ehrlich: Diese Beteuerung, die auf dem wundersamen Weg aller Jugendtrends das gute, alte „Ich schwör!“ abgelöst hat, führt genauso wenig wie dieses zu der angekündigten Konsequenz. Schließlich enttäuscht es die gerade erst aufgekeimten Hoffnungen der Eltern, wenn das Warum auf die Antwort: „Ganz ehrlich? Scheiße!“ nur zu einem „Ganz ehrlich? Is’ so!“ führt.

Aber was sagt es uns eigentlich, dass solche Bekenntnisformeln zu umgangssprachlichen Floskeln werden? Dass unsere Teenies uns zuvor konsequent angelogen haben, ja wohl nicht: Dann müssten ja auch die darauf folgenden Antworten anders als vorher ausfallen. Tun sie aber nicht.

Jetzt mal ganz ehrlich? Also: Höchstwahrscheinlich handelt es sich um den Versuch, sich als Person in einer Welt zu verorten, wo die Pseudo-Authentizität der Dokusoaps in den Wohnzimmern regiert und wo PolitikerInnen schon mal zwischen ihren Überzeugungen und ihren festen Überzeugungen trennen. Und so sollte, ja muss diese Frage, die, wenn auch nervig und rhetorisch, den dringenden Wunsch nach Aufmerksamkeit widerspiegelt, unbedingt und immer mit „Ja, bitte“ beantwortet werden. Alke Wierth