WIE SIND WIR DENN DRAUF? : Die Pelzträger sind wieder da
Wenn man in Neukölln lebt, muss man ja einiges aushalten können. Etwa das Dröhnen der Polizeisirenen, die ohne Rücksicht auf Verluste über die Sonnenallee brettern. Die vielen Touristen, die von einer Kneipe zur nächsten pilgern. In letzter Zeit könnte man aber trotz Blaulicht und ausländischen Besuchergruppen manchmal das Gefühl bekommen, nicht in Neukölln, sondern geradewegs am Ku’damm gelandet zu sein. Denn immer mehr Menschen schmücken sich mit einem Pelz. Ich meine nicht reich mit Brusthaar beschenkte Männer – nein, es geht um den klassischen Pelz. Also um genau das, was schon Oma zu ihren besten Zeiten trug.
Eigentlich dachte man, dieses Kleidungsstück sei längst von den Straßen verschwunden. Aber während die kleinen süßen Nerze, denen das Fell über die Ohren gezogen wird, wahrscheinlich mittlerweile stark dezimiert sind, sieht man die flauschigen Pelze wieder immer öfter. Pelz in Braun, Pelz in Goldglänzend, Pelz als weißer Halsschmuck, Pelz als wuschelige Kopfbedeckung. In Scharen ziehen ihre Träger eben nicht mehr nur durch den Grunewald, sondern durch Kreuzberg, Neukölln oder Mitte.
Sicher, sie werden mit Ironie getragen, sagen manche Verteidiger des Fellschmucks. Aber macht das einen Unterschied? Wir waren doch schon mal weiter. Gab es nicht sogar Plakate, auf denen nackte Menschen klarmachen wollten, dass so was Tierquälerei ist? Es scheint alles wieder vergessen.
Denn der Kunstpelz ist unter den Pelzmänteln mitnichten in der Mehrheit. Erst neulich traf ich einen jungen Mann, der einen Schal aus Pelz trug und den ich darauf ansprach. „Natürlich ist der echt“, rief er mir regelrecht entgegen. „Und das findest du nicht schlimm?“, fragte ich zurück und legte dabei meine Stirn in tiefe Falten. „Ich finde scheinheilig, dass alle Fleisch essen und das gar nicht schlimm finden, aber Leute, die Pelze tragen, total verurteilt werden“, gab er zurück.
Weil andere auch Tiere quälen, darf ich das auch? Die Argumentation überzeugt mich nicht. Ein Gutes hat der Pelz dann aber doch: Er bringt Leute zusammen, die sonst nicht zueinander gefunden hätten: ältere Damen aus Wilmersdorf und junge Frauen aus Kreuzkölln. Da bekommt die Oma mal wieder Besuch von ihrer Enkelin, die ihr den alten Mantel abschwatzen will. Ein Pelz verbindet also – von Charlottenburg bis Neukölln, von Wladiwostok bis Berlin. Welches Kleidungsstück kann das schon von sich behaupten? KLAAS-WILHELM BRANDENBURG