WIE DER BIOMETRISCHE AUSWEIS ZUR TOTALÜBERWACHUNG FÜHREN SOLL : Kontrollfantasien
Noch ist der geplante Online-Zugriff auf Passfotos relativ harmlos. Die Polizei kann das Foto einer bestimmten Person künftig online abrufen und muss nicht erst auf die Lieferung der Pass- oder Personalausweisbehörde warten. Das stellt eine Entbürokratisierung der normalen Polizeiarbeit dar.
Eine völlig neue Qualität wird der Online-Zugriff aber in Zukunft bekommen, wenn Gesichtserkennungssoftware von der Polizei routinemäßig eingesetzt wird. Derzeit läuft im Mainzer Hauptbahnhof ein Pilotprojekt des BKA, um die aktuelle Leistungsfähigkeit der Technik einzuschätzen. In einigen Jahren wird die Forderung aufkommen, dass das Bild eines Attentäters, aufgenommen von einer Überwachungskamera, mit allen bei den Ausweisbehörden gespeicherten Passfotos abgleichbar sein soll, um ihn möglichst schnell zu identifizieren. Wer heute in den Passämtern die technischen Voraussetzungen dafür schafft, kann sich an fünf Fingern abzählen, welche Entwicklung er langfristig ermöglicht. Wer die Salami anschneidet, muss sie in der Regel auch aufessen.
Man könnte fast den Eindruck haben, dass die Einführung der biometrischen Pässe eigentlich nur ein Vorwand war, um möglichst elegant alle Fotos und Fingerabdrücke der ganzen Bevölkerung der Polizei zugänglich machen zu können. Dagegen spricht aber, dass die Entwicklung zumindest bei den Fotos gar nicht durch die biometrischen Pässen ausgelöst wurde. Auch die Passbilder für Personalausweise werden inzwischen digital verwaltet, obwohl der biometrische Personalausweis mit Chip zur Identitätskontrolle noch gar nicht beschlossen ist. Die digitale Verwaltung von Fotos ist einfach praktischer – und die Datenschutzprobleme gäbe es auch ohne Biometrie-Ausweis
Anders ist die Situation bei den Fingerabdrücken, die bisher nur bei Straftätern und Verdächtigen erhoben wurden. Hier könnten die Biometrie-Ausweise tatsächlich zum Einfallstor einer erstmaligen Vollerfassung der Bevölkerung werden. Und genau deshalb wird sich die CDU/CSU mit ihren Speicherungsfantasien auch nicht durchsetzen. Jedenfalls diesmal nicht. CHRISTIAN RATH