WHO-TABAKKONFERENZ ZEIGT: AUCH NIKOTINJUNKIES BRAUCHEN HILFE : Bremser Deutschland
„Mit dem Rauchen aufzuhören ist keine Kunst. Das hab ich oft gemacht.“ Nicht nur Mark Twain hatte sein Nikotinproblem. Auf der Tabakkonferenz der UN-Weltgesundheitsorganisation WHO in Helsinki wurden Untersuchungen präsentiert, wonach mehr als die Hälfte aller europäischen RaucherInnen ihre Sucht gern sofort aufgeben würden. Die Aufklärung über die gesundheitlichen Gefahren des Rauchens scheint trotz aller Gegenkampagnen der Tabakindustrie gewirkt zu haben: Der Griff zur Zigarette ist bei immer mehr Menschen mit einem mulmigen Gefühl verbunden. Wenn sie es trotzdem nicht lassen können, dann vor allem, weil sie den Ausstieg nicht ohne Hilfe schaffen.
Immer mehr öffentliche Räume werden als rauchfrei ausgewiesen. Die Warnungen auf den Zigarettenschachteln werden immer größer. Nur: Das sind beileibe nicht die Hilfen, die ein Nikotinabhängiger braucht. Die Chance, das Rauchen auf eigene Faust dauerhaft aufgeben zu können, liegt bei zwei Prozent. Mit professioneller Hilfe schaffen immerhin 40 Prozent der Raucher den Absprung.
In Estland gilt Heroinabhängigkeit nicht als Krankheit, sondern als kriminell. Abhängige kommen ins Gefängnis statt in Behandlung. Das ist kein Grund, mit dem Zeigefinger Richtung Osten zu deuten: Sucht ein Nikotinabhängiger in Deutschland Hilfe, wird er mit Nikotinpflaster, Kaugummis oder Tabletten, die er selbst zahlen muss, nach Hause geschickt. Dabei wäre die Anerkennung der Behandlungsbedürftigkeit von Nikotinsucht, fachliche Hilfe durch ausgebildete Rauchentwöhner und eine Übernahme der Kosten durch die Kassen keine zusätzliche Belastung des Gesundheitssektors. Denn im EU-Schnitt sind schon jetzt bei Männern 12,3 Prozent der Krankheitskosten auf Tabakgenuss zurückzuführen. Gäbe es keine Tabaksteuer, deren reichliches Fließen dem Finanzminister gefällt: Würde es sich Berlin dann nicht angelegen sein lassen, etwas gegen tabakassoziierte Todesfälle zu tun? Angesichts der tabakpolitischen Rolle Deutschlands als Nachzügler oder, schlimmer, Bremser kann man sich dieses Eindrucks nicht erwehren. REINHARD WOLFF