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Archiv-Artikel

WENN DAS WETTER SCHLECHTER WIRD, MÜSSEN DIE MENSCHEN UM IHR LEBEN SPAZIEREN Die Natur ist nackt

MARTIN REICHERT

Was machen Singles an einem Sonntag, wenn jahreszeitenbedingt auch noch eine „Seasonal Affective Disorder“ ins Haus steht? Am besten das Haus verlassen und in den nächstbesten Park gehen. Mein Lieblingspark in meinem geliebten Berliner Problembezirk bietet allerhand Möglichkeiten, um den eigenen Gemütszustand zu überprüfen – und zu stimulieren.

Fangen wir mit dem Positiven an: Am Hindu-Tempel im Eingangsbereich des Parks tut sich etwas. Seit Jahren steht dort auf einem Schild zu lesen, dass an dieser Stelle ein Tempel errichtet werden soll, doch stets sah man nur vier Betonstelen, eine Art überdimensionierter Carport. Am Sonntag waren zwei oder drei Arbeiter zu sehen, die dort Ytong-Steine stapelten – und wenn man weiß, dass hier Deutschlands zweitgrößter Hindu-Tempel entstehen soll und es sich bei dem Carport lediglich um das Portal dieses Tempels handelt, dann kennt die Hoffnung einen Ort: eine Baustelle.

Geht man die Anhöhe hinauf, passiert man zunächst den arabischstämmigen Dealer-Ring, um sich dann langsam in die schwarzafrikanische Abteilung vorzuarbeiten. „Psst?“. „Tssss-Tsss?“ – „Nein, danke“. Ein verlässliches Ritual.

Melancholisch stimmt das langsam vergilbende Plakat am nahenden Freiluftkino, „Auf Wiedersehen im Sommer 2014“, auf den Holzbänken liegt Laub, die Leinwand ist abmontiert.

Am Kiosk wurde gerade die Glühweinsaison eröffnet. Man erhält ihn in Plastikbechern. Wie immer im Angebot jedoch Krautwurst und Knacker, Torten von der Firma Coppenrath & Wiese sowie diverse preisgünstige Alkoholika, die von den Stammgästen auf den Plastikstühlen vor dem Kiosk konsumiert werden. Einer von ihnen sitzt im Rollstuhl. „Keine Beine und kein Geld, was für ein beschissenes Leben“, sagt er und lächelt dazu. Ein Lächeln, das richtig verstanden sogar Mut machen könnte. Und der Bonus zum Winter, das sind die Sitzkissen, die am Kiosk nun zum Kaffee gereicht werden – niemand soll sich den Arsch abfrieren.

Geht man weiter in Richtung Moschee, passiert man rechter Seite das Revier der Schwulen. In einem kleinen Wäldchen haben sie Trampelpfade angelegt und gehen spazieren. Immer im Kreis. Noch vor Kurzem haben sie hier auf der Wiese in der Sonne gelegen und ihre Studio-Körper präsentiert. Vorbei. Auch sie sind nun dick verpackt und eingeschnürt. Wo werden sie im kalten Winter sein? Ziehen sie wie die Störche in den Süden? Nehmt mich mit.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Donnerstag Ambros Waibel Blicke Freitag Michael Brake Nullen und Einsen Montag Maik Söhler Darum Dienstag Jacinta Nandi Die gute Ausländerin Mittwoch Matthias Lohre Konservativ

Man kann in diesem Park einen richtigen kleinen Berg erklimmen, natürlich ist er aus Trümmern errichtet. Während des Aufstiegs kann man sehr gut sehen, wie der Sommer verrottet. Wie sich das leuchtende Grün in welkendes Braun verwandelt. Dürre, wie vertrocknet wirkende Büsche säumen den Weg, und alles was die letzten Monate gnädig den Unrat bedeckte, ist verschwunden.

Oben auf dem Gipfel angekommen, bleibt nur die Erkenntnis: Die Natur ist nackt! Aber was soll’s, ohne die verdammten Blätter an den Bäumen hat man hier oben jetzt wenigstens Fernsicht. Think positive.