WAS MAN ERLEBEN KANN, WENN MAN NICHT AUF EIN KONZERT DER ÄRZTE GEHT: GROSSES KOPFKINO, NACKTE BRÜSTE UND KLEINE BIERE : Eine Stadt zieht blank
VON RENÉ HAMANN
Fast wären wir ja zu den Ärzten gefahren. Zu der angeblich besten Band der Welt. Wir hatten uns sogar die einzige Ärzteplatte, die ich im Schrank stehen habe, angehört. Sie heißt „Das ist nicht die ganze Wahrheit“ und stammt aus dem Jahr 1987; gekauft habe ich sie mir wesentlich später, und zwar, weil mir die Kassette verlustig ging und weil mit „Außerirdische“ mein Lieblingsstück von den Ärzten auf dieser Platte ist. Ein Stück, über das ich immer noch lachen muss: „Mein Sexualleben ist völlig ruiniert/ denn Außerirdische haben mein Mädchen entführt.“
Außerdem gibt es den Feminismus-Song auf der Platte, die Depeche-Mode-S/M-Parodie „Bitte bitte“ und witzige Soundschnipsel – die ersten Samples! – zwischen den Stücken, zum Beispiel aus „Batman“, der frühen Fernsehserie und von John Lennon. Aber, das fiel auch auf beim Vorbereitungswiederhören dieser LP, schon damals haben die Ärzte hauptsächlich Teeniepop mit Hardrockgitarren gemacht und das dann Punk genannt; haben erstaunlich viele Liebesliedchen gemacht, die sie halt nur mit ein bisschen Ironie und Pennälerhumor verniedlicht respektive verbösartigt haben: „Du bist die Siegerin/ und ich bin dein Hauptgewinn/ alle Mädchen kommen um vor Neid.“
Auch nur ein gutes Lied
Und nein, wegen des adipositasfeindlichen Liedes, das zufällig den Namen meiner Exfreundin trägt („Wir konnten sie nicht begraben/ auf dem Friedhof war kein Platz!“) habe ich die Scheibe nicht gekauft. Sie war auch nicht dick, aber hasste das Stück.
Zu einer weiteren Ärzte-Platte reichte es nie. Von den Toten Hosen fand ich ja auch immer nur ein Lied gut, nämlich „Hier kommt Alex“. Jedenfalls hatte sich der Vetter meiner jetzigen Freundin Karten besorgt und es dann aber nicht mehr nach Berlin geschafft; der Weg war einfach zu weit. Die Karten galten nur für das Konzert am Freitag, und gescheitert ist das Vergnügen letztlich an der Schneckenposthaftigkeit der österreichischen und der deutschen Post. Tja! Schade.
Vielleicht in fünfundzwanzig Jahren wieder, die Ärzte wird es bestimmt noch sehr lange geben, die Fans geben ja immer noch reichlich Geld für sie aus. Da helfen auch keine Krankenkassen.
Also blieben wir in der heißen Stadt am Freitagabend und spazierten am Kanal entlang. Später aßen wir Sushi und suchten dann nach einer Bar, vor der man draußen sitzen konnte. Was Hipster und andere Städter halt so tun, wenn ihnen nicht nach Exzess ist. In der Minibar wurden dann Brüste gezeigt, die ich leider nicht gesehen habe, weil ich draußen auf der Bierbank auf das Bier wartete; später wurde die Brüsteinhaberin sanft aus dem Laden hinauskomplimentiert. Eine einfühlsame Frau in einem Rolling-Stones-Shirt, über die jede Sozialstation froh und glücklich sein könnte, redete beruhigend auf sie ein, dann kam ein Paar in Uniform mit den üblichen, stumpfen Autoritätsgesten, um den Fall zu übernehmen.
Für einen Moment wurde die Sache spannend: Der Exhibitionistin war natürlich nicht nach danach, nach Hause zu gehen, wie eine Kriminelle wollte sie schon mal gar nicht behandelt werden; klar war nur: Alkohol wirkte noch, Weltschmerz war mächtig, Freund angeblich hinter schwedischen Gardinen und Zuhause: doof. Dann lieber auf dem Gehsteig sitzen bleiben. Das Polizistenpaar fühlte sich vermutlich vom gemeinen Bürger beobachtet und versuchte ebenfalls, sanft mit der Angelegenheit umzugehen. Die Situation aber einfach so zu lassen, ging dann auch nicht. Schließlich war man ja gerufen worden!
Bevor es aber zur richtigen Zuspitzung kommen konnte, sind wir lieber weitergezogen. Das konnte nämlich nicht gut ausgehen, und sehen wollten wir das nicht.