WAS MACHT EIGENTLICH ... die Obdachlosenzeitschrift „Motz?“ : Mit Plakaten motzen
Das Motzen lieben die Berliner. Zieht man als zivilisierte Hamburgerin nach Berlin und will sich freundlich den neuen Nachbarn vorstellen, bellt die Frau von oben drüber: „Wenn ihr Party macht, fliegt ihr raus.“ Und auch der Urberliner aus dem Vorderhaus lässt sich nicht lumpen: „Wat, Erdjeschoss und Hinterhaus. Ick jeb euch ein Jahr, denn seid ihr depressiv!“ Ja, herzlich willkommen!
Selbst die hiesige Obdachlosenzeitung ist nach der Lieblingsbeschäftigung der Hauptstädter benannt: Motz. Und Motz motzt. Heute ab 12 Uhr spielen die Motzis am Gendarmenmarkt Guerilla. Nein, keine Angst: Papier statt Waffen! Kommerzielle Plakatwände werden mit Suppenschüssel, Betten und Mänteln überklebt. Die sind aus Motz-Zeitungsseiten ausgeschnitten und sollen Berlinern zeigen, was Obdachlose brauchen. Ein Plakatwagen stoppt überall dort, wo der Berliner gewöhnlich nicht von den Heimatlosen gestört werden will: vor dem Reichstag, dem Brandenburger Tor und den Weihnachtsmärkten.
Sosehr die Berliner das Motzen lieben und laut einer US-amerikanischen Studie 5 Prozent ihrer Zeit damit verbringen, so knauserig sind sie bei den 40 Cent für das Obdachlosenheft. 1995 euphorisch mit 20.000 Exemplaren gestartet, werden die Straßenverkäufer jetzt gerade mal die Hälfte davon los.
Mit ihrer Aktion sucht die Motz nicht nur Käufer, auch Schreiberlinge werden gebraucht. Also los, Berliner: Auch schreibend kann man motzen! Bei den Nachbarn der Neuberlinerin liegt der Aufruf schon im Briefkasten. KAF FOTO: MOTZ