WAS MACHT EIGENTLICH... … Ingeborg Junge-Reyer? : Kalte Krieger anlocken
Touristen gibt es viele in Berlin: Kulturtouristen, Partytouristen, Einkaufstouristen, Sporttouristen. Jetzt will Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) eine weitere Städtebummlerspezies anlocken: die Baustellentouristen. Was am Potsdamer Platz oder am Lehrter Bahnhof ganz gut gelang, will Junge-Reyer jetzt in die Ostberliner Innenstadt ausweiten, und zwar an den Palast der Republik. Anfang April wird eine „Besucherplattform“ aufgestellt. Das Pikante dabei: Hier wird nichts Neues gebaut, sondern Altes abgerissen.
Wir sehen sie schon, die Rentner und kalten Krieger aus den ehemaligen Grenzregionen in Oberfranken, dem Harz oder der Lüneburger Heide. Langsam quälen sie sich die Treppen zur Plattform empor, zücken Fotoapparate und Videokameras. Damit halten sie fest, wie ein zentrales Symbol der DDR Stück für Stück, genüsslich fast, dem Erdboden gleichgemacht wird. Dass noch lange keine sinnvolle und vor allem bezahlbare Nachnutzung des Areals in Sicht ist – ihnen wie den Abrissbirnenfans ist es egal. Hauptsache weg mit dem Gebäude, dieser gläsernen Erinnerung an einen untergegangenen Staat, seine Widersprüche und – auch sozialen – Versprechungen. Mitten in der deutschen Hauptstadt, unweit der künftigen Elite-Uni, des Auswärtigen Amts und des Hauses der Unternehmerverbände, darf es das nicht geben.
Junge-Reyer lässt es damit aber nicht bewenden. Sie inszeniert den Abriss von Geschichte als Event. Das mag als Touristenlockmittel gut gemeint sein – geschmacklos ist es trotzdem. ROT
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