WAS ESSE DU DA? : Die Knute der Dreijährigen
VON LUCIE MARSHALL
Sam regiert mit harter Hand. Er übersieht nichts und lässt mir nichts durchgehen.
Wenn ich mit Straßenschuhen in die Wohnung gehe, brüllt er: „MAMA! Suhe ausziehe! Is alle dirty sonst.“ Beiße ich morgens schnell vom Brot ab und gehe kauend, mit dem Kaffee in der Hand, ins Schlafzimmer, kriege ich ein „MAMA, nich kaue und walk! Hinsetze bisse fertig kaue“ hinterhergeplärrt.
Am Samstag klingelt es an der Tür, Sam rennt sofort los und öffnet sie, während ich noch kochende Spaghetti kontrolliere. Keine fünf Sekunden später baut er sich vor mir auf und stemmt die Hände in die Hüften: „Mama, isse Koege [Kollege] von Papa da. Komme bitte und sage ‚Hallo‘.“
Das grenzt an Terrorherrschaft. Nicht einen Schritt kann ich tun, ohne dass er mich beobachtet. Er scheint auch Augen am Hinterkopf zu haben. Gestern stopfte ich mir heimlich eine Hand voll saurer Würmer in den Mund, während er mit dem Rücken zu mir auf dem Teppich saß und seine Puppe anzog. Blitzschnell dreht er sich um und fokussiert mich aus schmalen Augen. Ich bin ertappt, wage es nicht zu kauen.
„Was esse du da?“, verhört er mich. Ich kann die fünf sauren Würmer nicht schnell genug runterschlucken und auch nicht unter meiner Zunge verstecken. Ich bekomme einen Hustenanfall, und das saure Zeug kommt mir fast aus der Nase wieder raus. Sam sieht mich an und kommentiert herablassend: „Zu viel, Mama. Du habe schon zwei saue Wümma heute esse. Das reicht.“
Ich wünschte, er könnte schon lesen. Dann könnte ich ihm mal ein Buch von Jesper Juul geben. Darin steht: Man soll nicht ständig verbessern und drangsalieren, sondern einfach VORLEBEN! Und darauf vertrauen, dass es dann auch irgendwann nachgelebt wird. Als ich anfange, Sam von Jesper Juul zu erzählen (weil er ja noch nicht lesen kann), unterbricht er mich und fragt: „Wer isse Jeppa juu?“ Mmh“, grüble ich, „das ist ein Mann, der viel über Familie weiß und …“ Ich stottere, Sam springt ein: „Isse das eine friend, Mama?“ Gute Frage. „So was in der Art“, sage ich, „manchmal finde ich allerdings auch, dass er ein Klugscheißer ist, und ich würde wirklich gern mal einen Tag Mäuschen bei ihm in der Familie spielen.“ – „Was isse Kugseisser?“ – „Das erkläre ich dir, wenn du groß bist.“ Das nimmt er natürlich so nicht hin. „Binne schon groooß“, brüllt er. Wir kriegen uns in die Wolle, und ich kann ihn nur mit sauren Würmen besänftigen. „Sam, du kriegst drei saure Würmer, okay? Und dann ist Ruhe!“ – „Will two saue Wümma, Mama!!“
Wenigstens mit den Zahlen hat er’s noch nicht so. Da habe ich die Nase vorn. Noch.
■ Lucie Marshall schreibt hier jetzt regelmäßig über den zauberhaften Wahnsinn, der über uns hereinbricht, wenn man Kinder bekommt. Vor allem, wenn man sich vorher jahrzehntelang an ein unabhängiges Leben gewöhnt hatte