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Archiv-Artikel

WARUM EIN TRASHIGER TUNNEL ZU HAMBURG GEHÖRT Lessing-Tunnel, Liebeserklärung

ROGER REPPLINGER

Das beste am Standort der taz in Hamburg ist der Lessing-Tunnel, gleich um die Ecke. Schöner Tunnel. Ist in keinem Stadtführer, ist aber mehr Hamburg, als alles, was da drin steht. Steht für das, was an der Stadt Trash ist – also Großstadt. Sieht aus, wie aus einem Ami-Streifen der 1970er-Jahre. Gene Hackmann.

Gelbes Licht, gerade genug, damit es nicht kuhnacht ist. Pfützen, von denen, wenn die Autos durchfahren, das Wasser auf den Weg in der Mitte platscht, auf dem Radfahrer und Fußgänger unterwegs sind. Drüber „dadack, dadack, dadack“, U-Bahn und Züge. Ziemlich in der Mitte ein Heizungsrohr, aus dem es sippt.

Ist mehr eine Höhle als ein Tunnel. Fürs Abendblatt ein „Schandfleck“, es gibt eine Bürgerinitiative, die sich beschwert, über den Dreck, die Tauben, die Dunkelheit. Es gibt Leute, die ekeln sich und fürchten, sie holen sich hier was weg. Euch die Suburbs, uns die Stadt. 300 Tauben leben hier. Wenn die Bahn, Eigentümer des Tunnels, Netze aufhängt, um die Tauben zu ärgern, werden die zerschnitten.

Es gibt Motorradfahrer, die hier nur durchfahren, weil die Akustik geil ist.

Der Tunnel verbindet Altona und Ottensen, die Straße heißt nach Julius Leber. Sozialdemokrat, Widerstandskämpfer, in Plötzensee von den Nazis ermordet. War in Lübeck Chefredakteur der Zeitung, für die der Schüler Herbert Frahm schrieb, der später Willy Brandt hieß. Lessing, Aufklärer, 18. Jahrhundert, stritt sich mit dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze, einem verbohrten Lutheraner. Aufklärer und Tunnel: am Ende Licht.

Ist kein Tunnel, sondern eine Installation. Hinten, an der Berner Straße, hängt Gandhi an der Wand, und eine lebensgroße Figur, die sich mit der rechten Hand das linke Auge aus dem Gesicht schiebt. An den Steinsäulen Sprüche von Sri Chinmoy.

In drei Meter Höhe Stromkabel, die so da hängen, wie in der Wohnung von Leuten, die gerade eingezogen sind, und noch nicht alle Lampen angeschlossen haben. Der Tunnel ist nicht aufgeräumt. Wieder „dadack, dadack, dadack“ und leichte Vibrationen. Überall Graffiti: auch von den Ultras des FC St. Pauli, deren Tags ziemlich dröge sind. Und ein weißes Blatt, es leuchtet in der Dunkelheit: „Wir sind nicht Europameister, sondern einer der größten Gewaltlieferanten der Welt!“

An der Decke schwarze Eisenträger, in der Mitte ein paar neue. Die alten Träger sehen nach Eiffelturm aus. Teile des Lessing-Tunnels wurden 1891 gebaut, also kurz nach dem Turm in Paris. Die Lampen sind von den Tauben voll geschissen. Neben dem Tunnel sind fünf verschlossene Kasematten, jede hat 22 Quadratmeter. Architekten, die sich was für das Tunnel ausdachten, haben vorgeschlagen, hier Cafés einzurichten. Haben wir noch nicht genug von.

Im Asphalt Löcher, wenn es in der Stadt mal mehr regnet als normal, läuft der Tunnel voll. An einer Säule ist ein weißer Kippschalter, wenn du ihn betätigst, passiert nichts. Nicht hier unten. An einer Säule hängt ein Aufkleber, der für „Bad Hölm an der Stütze“ wirbt. Könnt ich Oden, wär das eine.