WARUM DER TEXTILKONZERN H&M FÜR EIN HÄRTERES CHEMIKALIENRECHT IST : Der Übereifer der Lobbyisten
Wochenlang gaben sich in Brüssel, Berlin, Paris oder London die Lobbyisten die Klinke in die Hand, um den Abgeordneten dort zu erklären, warum eine Verschärfung des Chemikalienrechts zehntausende Arbeitsplätze kosten würde. Sie legten dar, warum die Forderung, rund 30.000 Chemikalien einem Wirkungstest zu unterziehen, für BASF, Bayer und Co den finanziellen Ruin bedeuten würde. Und sie erklärten, warum die geplante Chemikalienrichtlinie Reach das Ende der chemischen Industrie in Europa einläuten könnte. Den Volksvertretern schienen die Argumente einzuleuchten: So wurde aus dem größten Reformwerk der europäischen Umweltpolitik letztlich ein Minireförmchen, das am Status quo nichts ändert.
Doch nun zeigt sich, dass der Eifer der Lobbyisten ihren Klienten nicht nur nutzt – sondern auch schadet. Denn gestern gab der Textilkonzern H & M bekannt, sich künftig nach den Reach-Kriterien in ihrer ursprünglichen strengen Form richten zu wollen. Der Grund: Die Firma war genervt von den Rückrufaktionen, zu denen sie gezwungen war. In ihrem Warensortiment befanden sich auch Kleidungsstücke, in denen gesundheitsschädliche Materialien entdeckt wurden. Niemand kauft gern Reißverschlüsse, die Allergien hervorrufen. Rückrufaktionen sind kostenintensive Unterfangen, die obendrein auch noch dem guten Ruf schaden. Mit anderen Worten: Künftig haben bei H & M nur solche Zulieferer eine Chance, die eine Unbedenklichkeit ihrer Rohstoffe verbriefen können. Für nichts anderes sollte Reach ursprünglich sorgen.
Für Firmen wie H & M bedeuten härtere Gesetzesregelungen eine Arbeitserleichterung: Dann müssten sich alle Anbieter an die Standards halten. So aber muss H & M ein Heer von Gutachtern beschäftigen, die die Angaben der Zwischenhändler überprüfen. Noch bleibt den Lobbyisten etwas Spielraum, um ihren Fehler zu erkennen: Erst im November soll Reach vom Europaparlament verabschiedet werden, Änderungen sind also noch möglich. Und vielleicht reift bis dahin die Erkenntnis, dass hohe Standards mehr Produktsicherheit bieten als niedrige. NICK REIMER