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WAND UND BODENVerstärkt nicht den Kopfschmerz und lindert ihn nicht

■ Kunst in Berlin jetzt: Jürgen Baldiga, Imi Knoebel, Ulrich Eller, Petro Sacharowitsch Jemez

Man möchte meinen, daß den Schwulen alles, was sie tun, zum Lebensschmuck gerät: Das jedenfalls fiel mir ein vor den Fotografien von Jürgen Baldiga. Sie sind zu sehen im Wartezimmer der Berliner Aids-Hilfe, wo allerdings am Freitag mittag niemand wartet. Im Zentrum eines Ensembles von zwanzig schwarzweißen Fotografien hängt ein großes Bild, man möchte meinen das Selbstportrait des Fotografen, aber ich lasse mir später erläutern, es sei sein Freund: blonder Bürstenschnitt und weiße Flügelchen (nein, kein Pfeil und Bogen, Cupido macht Pause). Das Foto ist golden gerahmt: wurstige Isoliermasse als Gipsimitat, lackiert, mit Plastikröschen und Handspiegel versehen.

Der Rest der Bilder, kleine Prints in soliden Rahmen, ist nicht ganz so harmlos: Portraits von Schwulen, Transvestiten und Transsexuellen — wie immer, je schräger die Leidenschaften, desto deutlicher der unterschwellige Zug von Trauer, bei aller Frivolität vor der Kamera. Nicht das frontal geblitzte Bild des jungen Mannes, der sich fast das Geschlecht abreißt, um sich in die Vorhaut zu beißen, ist schockierend (nun, man gewöhnt sich), sondern das sehr schlichte Nahportrait eines (ich glaube desselben) Mannes, das Gesicht verunstaltet von Pflaster und Mull, Schwärzen an den Lippen. Aber auch für ihn gilt: Selbst die Zeichen von Tod und Aufschub werden getragen wie Schmuck. Jedenfalls im Bild.

Meinekestraße 12, 2. Stock, bis zum 31. August, Mo., Di., Do., Fr. 10-18 Uhr, Mi. 15-19 Uhr

Übungen in Eleganz: gerahmte 50 x 60- Blätter, die aufgeschnitten werden wie Passepartouts, um darunter liegende Blätter freizulegen, Karton oder bemalter Karton. Die Schnittformen im weißen Deckblatt/Passepartout sind konstruiert aus sich überlagernden Rechtecken, eine Schiebearbeit vielleicht. Das Hochformat der Arbeiten, in deren Feld die ausgeschnittenen Formen — also »der Gegenstand« der Anschauung — meist kaum bis unter die Mitte reichen, dieses Format wirkt etwas gewaltsam gewählt. Das Machen ist vielleicht spannender als das Schauen. Bei einigen Arbeiten sitzt die Schnittkante des weißen Blatts nicht sauber auf der darunter liegenden (orangenen) Fläche: dann wirkt die Arbeit Imi Knoebels, Sommerlochfüller in der Galerie Fahnemann ohnehin, ziemlich banal; Schattenwurf ist im Rahmen dieser grafischen Feinheiten nun wirklich nicht vorgesehen.

Bis zum 19. September, Di.-Fr. 11-18.30, Sa. 11-14 Uhr

Der Gestank bleibt draußen, der Lärm wird nach innen transportiert und zu Klang gemacht: so arbeitet Ulrich Eller in den vier Räumen des Neuen Berliner Kunstvereins. Die Sonne scheint, die Neolichter sind an.

In Varianten kommt der Straßenkrach in die lichte Wohnung am Ku'damm: Über gläserne Kolben, die auf gläsernen Tischen vibrieren — winzige Lautsprecher sind auf geheimnisvolle Weise in die gläsernen Gebilde eingesetzt; über große Trichter aus Japanpapier, die an frühe Grammophonlautsprecher erinnern (das Elektrola-Emblem mit dem Hund); über niedrige Betonsäulen, die auf halber Höhe einen Schlitz haben. Die Skulpturen sind über Drähte mit einem Mikrophon verbunden, das in einer schwarzen Röhre vor dem mittleren Fenster montiert ist: Dennoch hört man die Busse von draußen lauter als in der diffusen Wiedergabe der Anlage. Im Zimmer zum Hof gibt es eine weitere Installation mit verhaltenen Geräuschen, Hammerschlägen. Die Anlage wird von einem Dutzend Bandgeräten gesteuert, die in der Buchhaltung versteckt sind.

Ein längerer Aufenthalt verstärkt nicht den Kopfschmerz und lindert ihn nicht. Es ist auszuhalten, und die gewisse Ortlosigkeit, die sich einstellt, entläßt einen dann doch in die Indifferenz. Die Skulpturen, an das Archaische im Technischen (die Membrane) und Reste des Naturschönen (Muschel und Blüte) erinnernd, sind ein pittoresker Trost in einem Environment, das den flauen Wunsch befördert, die Welt möge nicht so scharf und kantig sein, wie sie nun mal ist.

Kurfürstendamm 58, bis zum 26. September, Mo./Fr. 12-18.30, Di./Do. 12-20, Sa. 11-16 Uhr

In »vielen dieser Wälder, die heute alle abgeholzt sind, konnte sich der Künstler wegen der Strahlung nur 10 Minuten aufhalten und malen«, sagt ein Text am Eingang, und so — mit Verlaub — sehen die Bilder auch aus. Konventionell skizzierter Naturkitsch, durch Einsatz schriller Farben gelegentlich verfremdet. Aber nicht nur das Birkenwäldchen darf, Pastell auf Pappe, in Neukölln weiterstrahlen als »Palsker Frühling«, nein, man sieht auch Panzer und Hubschrauber der Sowjetarmee heroisch im Einsatz, Romantik zwischen Afganistan und WK II.

Dem nicht genug: Maria sucht, von einem hinter ihrem Kopf plazierten Licht übernatürlich erhellt, kummervoll einen Ort auf, dessen Qualität durch das gelbe Schild mit den drei roten Flügeln bezeichnet ist, »Rette und Beschütze!«, Öl auf Leinwand, 1989. Nebendran hängt das Ölbild »Das Unglück des 21.Jahrhunderts«, die Erscheinung einer Erzengelsfigur, hohl beäugt von vermummten Wesen mit Gasmasken, das bläuliche Ambiente spärlich beleuchtet von einer Kerze: Das sagten die AKW-Anhänger auch immer, ohne Kernkraft gehen die Lichter aus.

Für Leute, denen der apokalyptische Kitsch zu hart ist, stehen im verglasten Eingangsbereich des Saalbaus Blumenbilder von »vor Tschernobyl«, wie mir freundlich erläutert wird, zum Verkauf. Für die Finanzierung der Einladungskarte danken die Initiatoren der Organisation Greenpeace e.V.; über das Spenden muß ich noch mal nachdenken, über die Grenzen der Kunst auch.

Bilder von Petro Sacharowitsch Jemez, Saalbau Neukölln, Galerie. Bis zum 30.8., Di.-So. 12-18 Uhr. Ulf Erdmann Ziegler

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