■ Vorweihnachtliches aus dem Berliner Wahlbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf: Sondern um Krippe
Man lebt nicht schlecht nördlich und südlich des Kurfürstendamms, in einem Wahlbezirk, der sich Charlottenburg-Wilmersdorf nennt. „Unser Fischer heißt Andrea“, ging der Slogan eines Plakats. Das gute alte Westberlin und von wegen Wilmersdorfer Witwen: Glückliche Familien sitzen unter warmem Licht in skandinavisch eingerichteten Küchen. Ärzte, Professoren, Schauspieler, Ladeneigentümer... Man ist freundlich zueinander, und was unseren Hof angeht, da werden die Fahrräder an roten Stangen geparkt, die bei einer großen Hinterhofbegrünung letztes Jahr im Kreis aufgestellt wurden, um das Gemeinschaftliche zu symbolisieren.
Obwohl wir natürlich alle nicht glauben, daß „das Boot voll“ sei, ist der Anteil ausländischer Mitbürger gering geblieben. Seniore Gialli allerdings kennt jeder, wegen seiner drolligen Collies und wegen des bunten Weihnachtsbaums im letzten Jahr. Den hatte er im Hof aufgestellt. Ohne zu fragen.
Und nun hängt im Flur eine Mitteilung des „Beirats der WEG“, was wahrscheinlich — woher soll ich es wissen, bin ja auch Mieter — die Wohnungseigentümer meint.
Liebe Nachbarn, heißt es in diesem Schreiben, in der vergangenen Woche bin ich von Herrn Gialli angesprochen worden, ob er, wie es in seiner Heimat üblich ist, im Haus eine Krippe aufstellen darf. Das Wort „Krippe“ ist fett gedruckt, in größerem Schriftgrad, und als Extrazeile eingerückt, damit jeder weiß, daß es nicht um Probleme des Hausmülls geht.
Schon im letzten Jahr, teilt der Beirat der WEG weiterhin mit, hat sein Weihnachtsbaum im Hof Anklang gefunden, so daß ich dieser Bitte gern zustimmen würde. Beabsichtigt ist, die Krippe im Durchgang vom Haupteingang Vorderhaus zum Seiteneingang Gartenhaus aufzustellen.
Ungefähr da hatte ich ja vor vier Wochen meinen nagelneuen silbernen Motorroller „Liberty“ geparkt und war von mehr als einer WEG-Person darauf hingewiesen worden, daß dies gegen die Hausordnung verstoße: „Man fährt ja auch nicht bei Rot über die Ampel.“ Aber Herr Gialli will ja auch keine Ampel aufstellen, sondern eine Krippe. Da können wir froh sein, daß er nicht aus Lappland stammt und einen ausgestopften Elch mit Schlitten installieren möchte, wie es in seiner Heimat üblich ist.
Nachteil der Weitherzigkeit: Dadurch könnte es zu leichten Behinderungen im Kellerzugang kommen, auch müßten Kinderwagen etc. entfernt werden. Das kann aber heiter werden! Wir sehen schon weinende bundesdeutsche Kinder, die an Stelle ihres Kinderwagens eine italienische Krippe finden. Zum Glück haben die WEG vorgesehen, daß wir unsere Meinung hierzu äußern würden. Unterschrieben hat ein Herr Eselein (Namen von der Redaktion ein bißchen entstellt).
Ich jedenfalls, und meine Frau auch, also wir, sind da ganz einer Meinung. So eine Krippe ist doch eindeutig dazu da, an die Schande des Kindermords von Bethlehem zu erinnern. Und auch wenn wir, die sozialdemokratisch-grünen Wähler von Charlottenburg-Wilmersdorf, dafür nicht direkt verantwortlich sind, denken wir, also meine Frau und ich, dieser Herr Gialli will uns zum Fest der Liebe provozieren. Sagen wir nein, droht er uns mit katholischem Martyrium. Gerade wir als Deutsche, wird er sagen... Weshalb wir dem Herrn Eselein geschrieben haben, mit der „Krippe“, das sei eine prima Idee, und wir freuten uns schon sehr darauf. „Diese Initiative“ sei ganz unsere Sache.
Und wenn dem Herrn Gialli die Öchslein fehlten, könnten wir aushelfen. Falls wir dürfen. Als Mieter. Ulf Erdmann Ziegler
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