■ Vorschlag: Sindbad, sei unser DJ! Die neunten Heimatklänge im Tempodrom
„Bei Gott, das ist eine wunderbare Geschichte! Wie aber entkamst du den schwarzen Menschenfressern, die doch so zahlreich auf der Insel sind?“ Sindbad der Seefahrer, der Seemannsgarnspinner aus Tausendundeiner Nacht, erlitt siebenmal fast Schiffbruch bei seinen prätouristischen Ausflügen über den Indischen Ozean. Da Sindbad nicht nur ein reicher Sponti war, der eben mal so einen „Haufen Geld hervorholte“, um sich „ein hübsches und neues, reichbemanntes, wohlausgerüstetes und mit Segeln aus hübschen Linnen versehenes Schiff“ zu kaufen, sondern auch Kaufmann und Handelsreisender, fand er kurz vor Bagdad dann den einen oder anderen „Diamantenberg“, den es unter Anwendung listiger Manöver in die Heimat zu transferieren galt. Sindbad jedenfalls kam heim mit einem unendlichen Schatz an Geschichten und anderen Reichtümern.
Logisch daß dieser Mann sich hervorragend eignet, die Leitfigur einer Heimatklänge-Saison abzugeben. Übermorgen beginnt die laut Tempodromin Irene Mössinger letzte Runde der Heimatklänge. Die Bagger graben sich immer näher an die kleine Zeltstadt heran. Waren es bis jetzt nur die Tunnelbauer, die den Tiergarten verunstalteten, wurde in der letzten Woche ein neuer Bauzaun installiert, der sich bis auf rund fünfzig Meter an Tempodrom und Haus der Kulturen heranwagt. Und dieser Zaun meint es ernst: Hinter seinen Holzplatten entsteht die Hütte eines der mächtigen und voluminösen Herrschers. Schon dominieren die Lastkähne des Kanzlers mit ihrem Aushub auch den angrenzenden Fluß, der irgendwo in den indischen Ozean fließt. O Sindbad, erhöre unsere Sirenen, kämpfe dich auf einem unsinkbaren Containerschiff Richtung Spreequell, besetze sämtliche Bau- und Schaustellen dieser verrotteten Stadt und treibe den unbesiegbaren Tyrannen in ein schwarzes Loch im Wattenmeer: „Und mit einem Male kam auch schon ein Adler auf das Fleisch niedergefahren, packte es mit seinen Fängen und stieg mit ihm in die Luft empor, während ich an dem Fleisch hing.“ Do it Sindbad, das Kanzleramt ist dir sicher!
Damit Sindbad seinen Weg findet, werden in den kommenden sieben Wochen von Mittwoch bis Sonntag Bands aus Madagaskar, Indien/Großbritannien, Java, Mosambik, Reunion und Sansibar/ Tansania open air in der Holzkurmuschel des Tempodroms auftreten. Los geht's mit Eusbe Jaojoby und seiner Tanarive Salegy Soul Revue aus Madagaskar. Ben Mandelson von den legendären 3 Mustapha 3 hat mehrere Platten von Jaojoby produziert und hält ihn für den Booker T. Madagaskars. Und er ist der König des Salegy, ein vom südlichen Afrika nach Madagaskar herübergewehtem 6/8-Rhythmus. 1976 nahm Jaojoby seine ersten Singles auf, die jetzige Band gründete er 1988. Hitziger Gitarrensound, flirrende Keyboards und hohes Tempo: Real Madagaskar Pop.
Christoph Borkowsky, Heimatklangchef, sorgt sich um den Nachwuchs. Er hat eine gewisse Überalterung des Publikums festgestellt. „Die Jüngeren halten das schon wieder für Folklore.“ Um Menschen in orangen T-Shirts, die tagelang lächeln und tanzen können, an die Materie heranzuführen, kommt Borkowsky die sowieso durch den Tiergarten wummernde Love Parade am 13. Juli gerade recht. Einige Mitgründer von Kiss FM, inzwischen dort rausgekegelt, haben eine Organisation gegründet, die sich unbescheiden „Respekt & Freiheit Foundation“ nennt. Die Nacht nach der Liebesparade und dem indisch-britischen Bhangra Ensemble Apna Sangeet, werden diese Macher nutzen, um ein neues Radiokonzept vorzustellen und gleich durch aktives DJing am lebenden Tanzsubjekt auszuprobieren. Techno ist tot, es lebe Ethnotechno. Hoffen wir, daß dem verjüngungskurierten Publikum nicht tatsächlich in den nächsten „tempodromlosen Jahren“ (Mössinger) die Heimatklänge wegsterben, die nicht nur räumlich, sondern auch finanziell ans Tempodrom gebunden sind. O Sindbad, hilf! Andreas Becker
Jaojoby (Madagaskar) bei der 1. Heimatklänge-Woche von 3. bis 7. Juli, 21.30 Uhr, am Sonntag um 16 Uhr. Umsonst & Draußen im Tempodrom, in den Zelten, Tiergarten.
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