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■ Vorschlag"Wer bin ich und wenn ja wieviele" im Theater am Halleschen Ufer

Vorschlag

„Wer bin ich und wenn ja wieviele“ im Theater am Halleschen Ufer

Das Ensemble scheint kollektiv an Alzheimer zu leiden. Zehn Gestalten wandeln über die Bühne, ziellos, wissen nicht, was sie tun. Eine zerlumpte Ballerina strauchelt und fällt. Eine Frau untersucht ihr Kostüm – wonach, bleibt unbekannt. Eine Alte im grellgrünen Kleidchen hat zwei verschiedene Turnschuhe an, und wenn sie an den Bühnenrand tritt, reißt sie mit beiden Händen ihr linkes Auge auf. Manche schnüffeln, als liege ein unanständiger Geruch in der Luft, und tatsächlich sehen ihre Kleider aus, als würden sie aus der Nähe nach Altkleidersack riechen. „Wer bin ich und wenn ja wieviele“ ist eine neue Produktion von Mechthild Erpenbeck und ihrer Truppe XX Projekt. Zwei fixe Ideen scheinen die Regisseurin umzutreiben. Einmal, daß die Welt nichts weiter ist als ein leerer Ort mit Löchern. Des weiteren: daß auch der Mensch nicht mehr ist als eine Matrize, auf der triviale Regeln und banale Floskeln des Alltags ihre prägenden Spuren hinterlassen. Mit dieser Philosophie landete die Regisseurin vor zwei Jahren einen Treffer: „Man lebe überall und heirate 4.700 Hände“; und an den Erfolg dieses spritzigen und originellen Musiktheaters von damals versucht sie nun anzuschließen.

Doch die Ideen tragen nicht mehr, die Kraft ist ausgereizt. Ein Stück über verlorene Identitäten zu machen ist eine Sache. Eine andere ist es, abgedroschene und konditionierte Verhaltensmuster immer wieder vorzuführen, als sei dies allein schon der Weg zur Erkenntnis. Manchmal ist das immerhin lustig, oft auch im einzelnen gut gespielt (Doris Prilop als Hausfrau mit Nebenverdienst). Doch nach zweistündiger Wiederholung wirkt auch das skurrilste Verhalten sehr stupide und klischeehaft. Einzig dem Musiker (Simon Jakob Drees) wurden differenziertere Ausdrucksmöglichkeiten mitgegeben; er spielt mit einem langen Gummiband Geige, schlägt krachend auf die Trommel und singt mittels Obertontechnik mehrstimmig mit sich selbst (Musik: Wolfgang Böhmer). Alle anderen Darsteller bleiben in Stereotypen verhaftet, lassen Gemeinplätze ab und wiederholen sich fortwährend. Und das ist im Theater auch nicht ansprechender als im wirklichen Leben. Christine Hohmeyer

„Wer bin ich und wenn ja wieviele“, Regie: Mechthild Erpenbeck. Bis 7.9., 21 Uhr, Theater am Halleschen Ufer, Hallesches Ufer 32.

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