Vorschau Rugby-WM: Nervöse Insulaner
Neuseelands All Blacks sind wieder einmal die WM-Favoriten. Aber nicht nur 4,4 Millionen Kiwis fragen sich, ob das Team dem Druck standhalten und daheim den Titel gewinnen kann.
KARLSRUHE taz | Wer in diesen Tagen einen der rund 4,4 Millionen Menschen mit neuseeländischem Pass trifft – egal wo auf diesem Planeten –, merkt es schon nach zwei Sätzen: Nichts bewegt das Land und seine Bürger derzeit mehr als die am kommenden Wochenende in ihrem Heimatland beginnende Rugby-Weltmeisterschaft. Das größte Sportereignis des Jahres 2011 ist für die All Blacks genannte Mannschaft mit Erwartungen überladen. Wieder einmal sind sie die großen Favoriten. Rugby ist in Neuseeland mehr als nur ein Sport, nicht nur, weil die Mannschaft nach dem verheerenden Erdbeben mit einem Erfolg den Menschen endlich wieder einmal schöne Schlagzeilen bescheren will.
"Rugby ist, was wir sind", sagte jüngst eine Nachrichtensprecherin im TV. Dieser Satz verdeutlicht die Sehnsüchte dieser kleinen Nation, die sie im Rugbysport spiegelt. Es schließt sich zudem ein Zyklus, denn die erste Rugby-WM fand 1987 in Neuseeland (und Australien) statt und die All Blacks holten den Titel. Seither sind die Neuseeländer bei dem alle vier Jahre stattfindenden Weltturnier immer entweder knapp oder grandios gescheitert. Endlich wieder den Weltmeistertitel zu holen, ist zu einer großen Obsession der Neuseeländer geworden. Ein englischer Journalist verglich die Situation der Neuseeländer im Rugby jüngst mit der der Engländer im Fußball.
Seit 1966 warten die Engländer beim Kicken auf einen WM-Titel – und leiden seitdem an den vielen verpassten Gelegenheiten. Im Rugby Neuseelands ist es nicht anders: Wer an so viel Erwartung und vergangener Enttäuschung trägt, kann leicht die Lockerheit verlieren, die nötig ist, um dem Erfolgsdruck von innen und von außen standzuhalten.
Klar, die Neuseeländer mit ihrem überragenden Kapitän Richie McCaw sind wieder der große Favorit im 20 Nationen großen Feld. Die All Blacks bestreiten das Auftaktspiel am Freitag gegen Tonga in Auckland (Sport1, 11.35 Uhr). Das Finale steigt am 23. Oktober in Auckland. Neben den Neuseeländern gelten die jeweils zweimaligen Titelträger aus Südafrika und Australien als die aussichtsreichsten Kandidaten auf den Titel. Doch eine WM ist immer auch ein Vergleich zwischen den großen Rugby-Nationen der nördlichen und der südlichen Hemisphäre. Nur einmal konnte eine Mannschaft aus Europa den Titel gewinnen: 2003 England mit dem damaligen Kapitän Martin Johnson, der nun als Trainer die Engländer nach Neuseeland führt.
"Jeder will England schlagen"
Johnson coachte England in diesem Frühjahr zum Gewinn des Six-Nation-Turniers, dem prestigeträchtigen Vergleich der sechs besten europäischen Rugby-Nationen. Noch immer vertraut Johnson dabei auf den 32 Jahre alten Ausnahmespieler Jonny Wilkinson, mit dem er noch als Spieler vor acht Jahren reüssierte. Die Engländer scheinen die einzigen Europäer zu sein, die den übermächtig erscheinenden Mannschaften aus dem Süden Paroli bieten könnten. Johnson weiß: "Jeder will England schlagen." Besonders die Iren, die den Engländern beim diesjährigen Six Nations die einzige Niederlage beibrachten. Doch die Iren verloren alle ihre Testspiele gegen England und Frankreich.
Dennoch ist Brian ODriscoll, die irische Rugby-Legende, bei seiner vierten WM-Teilnahme voller Zuversicht. "Wir wollen etwas erreichen, was noch keine irische Mannschaft bei einer WM vorher erreicht hat", sagt er; noch nie sind die Männer von der Grünen Insel über das Viertelfinale hinausgekommen. Experten glauben, dass auch diesmal nach der Runde der besten acht Schluss ist für die alt gewordenen irischen Helden, die 2009 noch das Six-Nations-Turnier gewannen.
Auch den Franzosen werden nur Außenseiterchancen zugerechnet, der Weltranglisten-Vierte findet einfach nicht die Form, die ihn vor vier Jahren noch die All Blacks im Viertelfinale besiegen ließ. Schon beim Six Nations blieb das Team unter seinen Möglichkeiten, Trainer Marc Lievremont wird nach der WM seinen Hut nehmen.
"All over again"
Auch diesmal scheint also alles wieder auf einen Sieg der Neuseeländer hinzudeuten, sie haben wieder einmal die beste Mannschaft, wieder einmal die besten Spieler und zudem noch den Heimvorteil. Wären da nicht die vermaledeiten WM-Geschichten seit 1987 und diese riesigen Erwartungen. Die beiden letzten Spiele jüngst beim Tri Nations, dem Turnier der Neuseeländer, Südafrikaner und Australier, verloren die WM-Gastgeber zu allem Überfluss.
Waren diese Niederlagen ein Zeichen dafür, dass es doch wieder so wird wie immer? Muss der New Zealand Herald seine Schlagzeile von vor vier Jahren wieder herausholen, als er nach dem Viertelfinal-Aus gegen Frankreich auf der Titelseite druckte: "Deja vu all over again … and again … and again – Deja-vu schon wieder … und wieder … und wieder."
Sean Fitzpatrick, eine All-Blacks-Legende, glaubt an den Sieg. Er sagt: "Wir haben das Trauma von 2007 in den letzten drei Jahren gut überwunden, wir müssen einfach unser bestes Rugby spielen, dann werden wir erfolgreich sein."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich