: Vornehm besoffen in die Katastrophe
■ Ottokar Runzes „Der veruntreute Himmel“ nach einem Roman von Franz Werfel, 20.15 Uhr, ARD
Am Anfang war der nachtblaue Himmel. Dann kam der Schwenk über ein Bergkapellchen hin zur großbürgerlichen Sommernachtsfeier auf dem Alpenhof, die als ein Rausch aus weißen Spitzen, tiefen Dekolletés, Zigarrendunst, Champagner und klirrendem Lachen tobte. Die Herren reißen gebildet harmlose Witze und schließen sich dem netten, heiteren Melodienraten an, während der Hausherr zu Ehren der Gattin einen Lizst nach dem anderen über die Gäste perlen läßt. Man bedenkt sich vornehm besoffen mit Komplimenten, denn so verlangt's die Etikette, und spielt ansonsten an der langen Tafel die jeweils entsprechende Rolle.
Auch einen Beobachter gibt es in der Runde, den jüdischen Schriftsteller und gleichzeitig Franz Werfels Selbstporträt. „Schau dich doch um, jeder Typ ein Roman!“, raunt er dem arglosen Sohn des Hauses zu. Doch der ist zu sehr mit der eigenen Glückseligkeit beschäftigt, um sich darüber Gedanken zu machen. Er sieht seine Mutter, die mit perlweiß strahlendem Lächeln ihrem zwanzigjährigen Sproß beim jauchzenden Walzertanzen zunickt, hört nicht auf die politischen Pseudoprognosen des bebrillten Herrn Doktor — „Die Braunen werden kommen“ —, sondern wird von der Idylle überwältigt. Er unterbricht die Musik, wirft sich seinem Vater an den Hals und dankt, in fünf ausgedehnten Schnitten, für seine Existenz.
Während die happy familiy „aufs ewige Leben“ trinkt, hat die Szene ihre Spannung überreizt, und, so viel ist auch ohne den skeptischen Blick des jüdischen Außenseiters klar: Diese Harmonie wird zerstört werden, genauso wie das großbürgerliche Österreich.
Mitten in dem (noch) sorglosen Trubel erscheint die Stütze der Gesellschaft, Teta, die Köchin, alt, schwarz gekleidet und zugeknöpft. „Ora et labora“ (bete und arbeite). Und nie einen Mann. Ganz das alte Österreich!“, ruft die gnä' Frau. Teta ist stolz und kalt, denn sie weiß es besser: Der Herr droben errettet nicht diejenigen, die Walzer tanzen, sondern wer rechtzeitig in barer Münze zahlt. Und ihr eigener Platz im Himmel ist erkauft, hat sie doch Gott einen Priester geschenkt, dem Neffen das Studium der Theologie spendiert!
Die Sommernacht klingt aus, es fällt der Tau, und schnarchend liegt die Gesellschaft zwischen dem Kristall. Nun streicht die Kamera einem jeden noch einmal zärtlich über die Züge, denn — so der Regisseur — der kommende Tag wird die Katastrophe bringen:
Dann wird die Mutter ganz unmotiviert nervös: „Is' heut' Fön?“ Der Sohn geht mit der Cambridge-Clique auf den Berg und bricht sich das Genick. Alle sind fassungslos, nur Teta nicht, die leiert stoisch ihren Rosenkranz. Der Jude, und mit ihm Franz Werfel, bekennt sich am Fensterkreuz zum modernen Dasein: „Schauen'S 'raus, Teta, so viele Welten...“ Doch die felsenfest und unmenschlich Gläubige zieht nun in ihre enge Welt, zu ihrem Gott, und sucht den Neffen auf. Doch schräge Orgeltöne lassen auch hier nichts Gutes erahnen: In der vermeintlichen Pfarrei des Neffen erfährt Teta, daß er ihr Geld verpraßt hat und als schmieriger Wahrsager lebt. Der Show-Down: Sie, als schwarzer Racheengel, fordert den veruntreuten Himmel zurück, er im seidenen Morgenmantel schleudert ihr als „Antichrist“ biblische Leerformeln ins Gesicht. Doch sie will die Wahrheit nicht sehen: Gott gibt's, da ist sie ganz sicher und springt auf den nächsten Pilgerzug nach Rom.
Nur weg von hier, zum „heiligen Vater“, der wird's schon richten. Kein Ohr hat sie für die kernig singenden Hitlerjungs in Wien, kein Auge für die blondgelockte Dummheit, die hier Einzug hält. Nur hin zur Audienz in den Vatikan. Dort wird sie, in einer herrlich grotesken Szene, dumm sterben, denn der klapprige Papst erleidet einen Schwächeanfall, stürzt ausgerechnet in ihre Arme — das war zu viel der Gnade!
Franz Werfel entlarvt das Sichverschließen vor der Wahrheit als Grund für den privaten und gesellschaftlichen Untergang. Schade nur, daß der Regisseur Ottokar Runze trotz gründlicher Recherche diese poetisch- weltanschauliche Erkenntnis in eine geschlossene konservative Filmsprache übersetzt hat. Bisweilen gefallen sich die Bilder zu sehr in ihrer detailgetreuen Ausstattung und einer überdeutlichen Symbolik. „Der Zuschauer braucht Wiederholungen“, lautet Runzes Erklärung. Aber auch dieses Gesetz des Fernsehens ist nur die halbe Wahrheit. Gaby Hartel
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