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■ VorlesungskritikViel Lärm um nichts

Joachim Jens Hesse verkörpert das „neue“ Otto-Suhr-Institut (OSI). Effizienz, Konkurrenzfähigkeit und enge Beziehungen zu politischen Akteuren sollen das OSI stählen für den Überlebenskampf in Zeiten knapper Finanzen. Auf die Professur für Innenpolitik ließ sich der studierte Ökonom, der eines der Standardwerke zum politischen System der Bundesrepublik geschrieben hat und zuletzt in Oxford lehrte, nach zähen Verhandlungen nur mit der Zusage locken, zugleich die Leitung des neu einzurichtenden Europäischen Instituts für Staatswissenschaft und Staatspraxis zu übernehmen.

Bevor Hesse leicht verspätet zur Vorlesung erscheint, betritt erst einmal ein Hiwi die Bildfläche. Er testet das Mikro, wischt die Tafel sauber und hat damit schon die ersten Schritte auf jener „Karriereleiter“ hinter sich gebracht, die Hesse im Gespräch mit der OSI-Zeitung skizzierte. „Die Besten aus den Proseminaren kommen dann in die Hauptseminare, die Besten daraus wiederum haben Aussicht auf Praktikums-, Assistenz- oder Mitarbeiterplätze.“ Diese Schar der Lakaien nennt sich dann „Team“, und so muß sich die neue Assistentin zu Beginn der Doppelstunde vom versammelten Auditorium bewundern lassen, weil sie „sehr gut in unser Team paßt“.

Folgerichtig meidet Hesse die erste Person, redet von „unseren“ Plänen für das Sommersemester, in dem „wir“ ein Seminar anbieten werden. Nachdem Hesse sich noch einmal Sakko, Krawatte und Brille zurechtgerückt hat, kann die Vorlesung beginnen. Er zündet ein Feuerwerk blumiger Formulierungen und schräger Bilder, garniert mit einigen Scheußlichkeiten des Politologendeutschs. Er habe „ein paar historische Ausführungen traktiert“, faßt er die vorausgegangene Vorlesung zusammen, „wir haben uns über den Gesetzgebungsprozeß ausgetauscht“. Von „Reformpolitiken“ reden und „über Zukünfte nachdenken“ mag er nur im Plural. An allen passenden, vorzugsweise aber an unpassenden Stellen fügt er statt eines „äh“ wahlweise die Formulierung „wenn ich das so sagen darf“ oder „meine Damen und Herren“ ein. Das Ganze untermalt er mit einer ausladenden Gestik, deren Herkunft aus dem Rhetorikkurs unschwer zu erkennen ist. Immerhin, nachdem er fünfmal die „unglaubliche Varietät von Kontrollmöglichkeiten“ in der Hand des Bundestages hervorgehoben hat, kommt ihm doch noch das Wort „Vielzahl“ über die Lippen. Auch die gespielten Diskussionen, die Hesse planmäßig alle 45 Minuten einschiebt, erinnern mehr an den verschulten Lehrbetrieb in Jura oder Betriebswirtschaft als an eine wissenschaftliche Vorlesung. Es ist offenkundig, daß die Studenten, die er gelegentlich mit einem steifen „der Herr Kommilitone, bitte!“ auch ungebeten zu einem Beitrag auffordert, nur als Stichwortgeber für sein eigenes Lehrkonzept dienen. Die meisten stellen sich darauf ein und sondern nicht minder blasierte Worthülsen ab, deren einziger Sinn in persönlicher Profilierung besteht. „Lassen Sie uns das nicht dialogisch fassen“, würgt Hesse Nachfragen unerbittlich ab. Jede Minute ist kostbar, denn die für eine Vorlesung aufgewandte Zeit sieht er als „Investition“.

Daß dem OSI mit seiner Berufung ein großer Wurf gelungen ist, unterliegt für Hesse keinem Zweifel. „Nur vier Politologen in der Bundesrepublik können über das Regieren mitreden“, weil ihnen das Innenleben von Ministerien und Staatskanzleien aus eigener Anschauung vertraut sei. Neben Thomas Ellwein, dem Koautor des erwähnten Standardwerks, zählt er dazu selbstverständlich sich selbst. „Die Borniertheit müssen Sie mir gestatten.“ Ralph Bollmann

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