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■ VorlesungskritikAls Asbest noch eine gute Sache war

Daß es einen „typischen“ Weg in den Journalismus nicht gebe, gilt als Binsenweisheit. Trotzdem schaffen es manche Leute, selbst in diesem Milieu der verschlungenen Berufswege als Seiteneinsteiger zu gelten. Ulrich Raulff übernahm erst nach fünfzehn Jahren freiberuflicher Tätigkeit in der Grauzone zwischen Wissenschaft und Publizistik das Ressort „Neue Sachbücher“ der FAZ. Insofern war er der denkbar ungeeignetste Referent, um den Geschichtsstudenten der Humboldt- Universität, wo er voriges Jahr mit seiner Arbeit über den französischen Historiker Marc Bloch die Lehrbefugnis erwarb, die Wege zur schreibenden Zunft zu weisen.

Daß die angehenden Historiker ausgerechnet ihn einluden, ist freilich kein Zufall. Glauben viele von ihnen doch allen Ernstes, nichts interessiere die Medien mehr als die Historie. Möchten sie sich einer Zeitung als Mitarbeiter andienen, schicken sie ihr erst einmal eine Buchbesprechung. Doch selbst Raulff, der den „größten Rezensionsplatz in Deutschland“ verwaltet, mußte sie vor allzu wisschenschaftlicher Schreibe warnen. „Als ich wieder Texte mit Fußnoten schrieb, wirkte sich das auf meine Einkommensverhältnisse katastrophal aus.“ Um sich der Wissenschaft widmen zu können, müsse man zunächst „die Miete drin haben“.

Doch auf Berufsberatung war Raulff ohnehin nicht aus. Statt dessen trat er seinen eigenen Lebenslauf breit, was er mit gespielter Bescheidenheit als „autobiographischen Unfug“ bezeichnete. Er berichtete, wie er 1971 erstmals das Betongebäude der Marburger „Phil-Fak“ betrat, als man noch dachte, „Asbest is 'ne gute Sache“. Wie er angesichts des Transparents „Marx an die Uni, Deppe auf H 4“ begriff, „was Revolution in Deutschland heißt“. Wie er sich ab 1978 als Freiberufler durchschlug, mit wachsendem Erfolg.

Mußte er sich anfangs noch als Cicerone für amerikanische Paris-Touristen durchschlagen, konnte er seinen Lebensunterhalt alsbald mit einer Halbtagsstelle beim Goethe-Institut und Übersetzungen aus dem Französischen fristen, mit denen er zielsicher wieder auf die Wissenschaft zusteuerte. Nachdem er als „Buchmessenveteran“ jahrelang versucht hatte, allen möglichen Verlegern wirtschaftlich ruinöse Projekte aufzuschwatzen, wechselte er die Fronten. Solch „aufdringlichen Treibminen“ wußte er in den Frankfurter Messehallen fortan auszuweichen, als er dort zunächst Wagenbachs „Kleine kulturwissenschaftliche Reihe“ repräsentierte und dann, als er sich mit dem Berliner Verleger zerstritten hatte, beim Campus- Verlag die „Edition Pandora“ aus der Taufe hob.

Auch die Bitte der Veranstalter, den journalistischen Berufsalltag zu beschreiben, beantwortet er ausschließlich mit Anekdoten aus dem Innenleben der FAZ. Er erläuterte den Aufbau des Feuilletons vom Aufmacher bis zu den Todesanzeigen, die er offenbar als integralen Bestandteil des Ressorts ansieht. „Wir toben uns bei den Titeln ganz schön aus“, rühmte er, „gelegentlich mit neidischem Blick auf die taz.“ Der journalistischen Unabhängigkeit diene „dieses merkwürdige Politbüro der fünf Herausgeber“. Dabei mag es Raulff als „einem der letzten freilebenden Strukturalisten in Deutschland“ vielleicht gelegen kommen, daß das für ihn zuständige Politbüromitglied nur dem Lebenslauf nach dem Dekonstruktivismus anhängt.

Zu guter Letzt widmete er sich noch den Perspektiven des Berliner Zeitungsmarkts. Jede Veränderung in der Hauptstadt werde in den Frankfurter Redaktionsstuben mit „Paranoia“ verfolgt. Zwar lasse der „beschämend kleine“ Berliner Marktanteil der FAZ noch keinen Lokalteil zu, aber im Falle eines Regierungsumzugs würden im Schlepptau der Bürokraten auch Scharen von Politik- und Feuilletonredakteuren spreewärts ziehen. Beste Aussichten also für die angehenden Historiker, denn nichts anderes als ein Geschichtsstudium, nach Möglichkeit verbunden mit einer FAZ-Hospitanz, „qualifiziert Sie für anspruchsvollen, kritischen Journalismus“. Ralph Bollmann

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