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■ VorlaufSie sind die anderen

Doku: „Messerstecher tanzen nicht“, 20.15 Uhr, N3

Irgendwann will Bedri (13) ein berühmter Tänzer sein. Noch aber ist der Sohn türkischer „Gastarbeiter“ ein kleiner unbekannter Breakdancer, der in den dreckigen Nischen einer Hochhaussiedlung Pirouetten auf dem Kopf dreht. Die dreht auch Eliseo (17) aus Kuba. Doch lieber sprüht er nächtelang Graffitis an graue Betonwände. Wenn Nachbarn vorbeikommen und sich über das „Geschmiere“ beschweren, sprüht er extra langsam. Es ist schließlich auch sein Alltag, den er sich etwas bunter macht. Und der Alltag von Sven (15), der meistens mit seiner arbeitslosen Mutter vor dem Fernseher hängt. „Die Aussiedler bekommen die besten Wohnungen“, sagt sie und Sven nickt.

Hannover-Vahrenheide: Eine Trabantenstadt aus Sozialbauten, in deren ärmlicher Enge Aussiedler, Asylanten und deutsche Sozialfälle leben. Letztes Frühjahr lieferten sich hier 200 Jugendliche Woche für Woche Massenschlägereien. Mit Baseballschlägern, Messern und Pistolen gingen Türken und Deutsche auf Russen und Polen los. Ein Jahr danach hat Jörg Ihssen den Stadtteil besucht und drei Jugendliche mit der Kamera begleitet. Durch Häuserschluchten, auf Spielplätzen und in Jugendclubs, wo flaumige Jungs mit Baseballkappen ihre Messer schnappen lassen.

„Irgendwann passiert hier richtig was“, sagt einer von Bedris Freunden, und es klingt, als würde er es am liebsten vermeiden. Auch Svens Freunde tragen Waffen. Sogar auf einer Wohnzimmerparty, wo weit und breit keine Aussiedler, nur Korn und Bier zu sehen sind. Sind die Drohgebärden echt oder Nachrufe auf ein Medieninteresse, das der Tristesse für kurze Zeit Farbe verlieh? Gehören die Machosprüche nicht zur notwendigen Romantisierung des Ghettos, das ohne Gangsta-Rap noch trostloser wäre? Jörg Ihssen spart sich jeden Kommentar, läßt die Posen und Bilder aller Beteiligten für sich sprechen.

Am Ende stehen Bedri, Eliseo und Sven auf dem Dach eines Hochhauses. Unter ihnen der Schandfleck der Stadt und in ihren Gesichtern die Erkenntnis, daß die anderen sie selbst sind.Oliver Gehrs

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