Vorlauf: Erinnerung an das Massaker "Baby Yar"
■ "Goodbye UdSSR", Das kleine Fernsehspiel, ZDF, 23 Uhr
Ich möchte einen Abschiedsfilm drehen“, schreibt der 30jährige Regisseur Alexander Rodnyansky aus Kiew. Doch sein Dokumentarfilm „Goodbye UdSSR“ ist mehr als das — ein melancholisches Lied seiner Generation, komponiert aus Schwarzweißbildern und erdigen Pastellfarben. Den Rhythmus bestimmt der Wechsel zwischen Bildern aus der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die Melodieführung ergibt sich aus den Fragen: „Wer bin ich? Wo komme ich her? Wo gehe ich hin?“ Übersetzt für seine Freunde heißt das: Warum wandert ihr nicht aus? Welcher kulturellen Identität fühlt ihr euch zugehörig? Was erwartet uns nach dem Zerfall der Sowjetunion? Und dann ist da noch die Erinnerung an Baby Yar, 1941.
Vor 51 Jahren im September wurden in Baby Yar bei Kiew unzählige jüdische Frauen, Männer und Kinder von einem deutschen Polizeibataillon ermordet. 20 Jahre später sollte an dieser Stelle ein Erholungspark errichtet werden. Doch flüssiger Schlamm überschwemmte das Arreal. Zum 25. Jahrestag 1966 wurde die Gedenkveranstaltung von der russischen Miliz gesprengt, die Teilnehmer verfolgt. Alexander Rodnyansky verbindet nüchtere Daten mit seltenen Archivaufnahmen. Zehn Jahre später ließ man ein Denkmal einweihen — ohne den Holocaust auch nur zu erwähnen. Erst zum 50. Jahrestag 1991 können die Juden unbehelligt des Massakers gedenken — drei Monate vor der Abstimmung über die Unabhängigkeit der Ukraine.
Die politische Wende führt Alexander Rodnyansky zu fünf gleichaltrigen Freunden, die dageblieben sind. Drei Männer: ein Politiker, ein Bühnenbildner und ein Archivar, der von einem Museum für jüdische Kultur träumt. Zwei Frauen: eine Sängerin und eine Regisseurin: „Meine Mutter sagte, rette dich, rette deine Tochter, wander aus. Dabei hielt sie mich zurück, als ich mit 18 auswandern wollte. Ich werde ihr dafür ewig dankbar sein.“ Beide bringen Licht in das 20-Watt-Dunkel von „Goodbye UdSSR“. Dazwischen immer wieder Autofahrten durch die Häuserschluchten von Kiew. Im Off greift Alexander Rodnyansky die Gedanken seiner Freunde auf und vergleicht.
Eine andere Strophe des Films belegt die Suche des Regisseurs nach einem Überlebenden von Baby Yar, dem legendären Schaya Schayewitsch, ein obdachloser alter Mann, in Lumpen gehüllt, an den sich nicht alle Befragten erinnern mögen.
Der Refrain: Kamerafahrten über Trümmerfelder, auf denen das Gras wuchert, jüdische Grabsteine — und Bilder von alten Menschen in langsam zerfallenden jüdischen Städtchen. Eine Frau mit Wollkopftuch, ein Mann mit Pelzmütze — zuerst in der Halbtotalen, im zweiten Schnitt als Porträt, ganz nah, jede Falte wird sichtbar. Von ihrer Erinnerung kann sich Alexander Rodnyansky nicht verabschieden. Caroline Schmidt-Gross
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