■ Vorlauf: Dissidenten & Feinde
„Twist“, Sonntag, Kanal-4-Magazin auf RTL, 0.15 Uhr
Die Obrigkeit war der Feind, sagt ein früherer DDR-Oppositioneller, weil man Gesellschaft von unten machen wollte. Das war in der BRD, wie man den eigenen Staat mit einem Schuß Feindseligkeit nannte, nicht viel anders. „Und schon bist du ein Verfassungsfeind“, lautete die Formel, als gäbe es keinen innigeren Wunsch, einer zu werden. Der Verfassungsschutz spielte seine Rolle freilich nie so gut wie die Stasi, die, so ein anderer Oppositioneller, eine Art Kitt war, der das antagonistische Gefüge zusammenhielt. „Die Stasi war mein Eckermann“, dichtete dereinst Wolf Biermann.
Zur fortdauernden Dissidenz braucht es vermutlich eine gehörige Portion Paranoia; ohne sie gedeiht so recht kein Feindbild. Die Bürgerrechtsbewegung der DDR wäre ein lohnendes Beispiel, um dem Feindschema auf die Schliche zu kommen – aber schade: „Twist – Das Magazin zum Begriff“ ist bereits zu sehr Fernsehmagazin, um einer einzigen Idee zu trauen. So bilden die Bürgerrechtler nur eine Abteilung. Nach guter alter Magazinpraxis erforscht man das „Feindbild“ lieber in vielen Facetten und vielen bunten Bildern.
Zum Beispiel im Schwimmbad, wo andere fortlaufend die eigenen Bahnen stören. Und wird nicht auch in den Cyberspace-Welten ein Feindbild entworfen, lernen unsere Kids nicht gerade per Joystick eine besondere Fertigkeit des Tötens? Eine Fotografin hat Frauen nach ihren Feinden befragt und stieß dabei auf sorgsam ausgemalte Gewaltphantasien.
Trotz einiger witziger Einfälle wird man den Eindruck nicht los, daß die Avantgardisten heutzutage zuviel fernsehen. In puncto Feindbild besser beraten wird man durch den Soziologen Georg Simmel: „Menschen, die viel Gemeinsames haben, tun sich oft schlimmeres, ungerechteres Unrecht als ganz Fremde.
Manchmal, weil das große gemeinsame Gebiet zwischen ihnen selbstverständlich geworden ist und deshalb nicht dies, sondern das momentan Differente ihre gegenseitige Stellung bestimmt.“ Nur Frau Bohley bleibt ganz Dissidentin. Feindbilder hatte sie noch nie, nirgends.
Harry Nutt
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