piwik no script img

■ Vor zehn Jahren wurde der Affe Petermann hingerichtetEr sah sich selbst als Mensch

Köln (taz) – Petermann war über den Seeweg gekommen; 1947 aus Zentralafrika in ein Gehege des Kölner Zoos. Bald schon bewies das Schimpansenmännchen eine notorische Neigung zur Narretei: Nach den ersten umjubelten Zooshows trat Petermann bei Dutzenden von Prunksitzungen im Karneval auf, als Tanzmariechen und roter Funke, mit Narrenkappe Kölsch trinkend, tanzend, radfahrend, shakernd. Im neuen Fernsehen der 50er Jahre hatte er sektschlürfende Soloauftritte in der Silvestergala. „Vollblutkomiker mit Riesenerfolg“, titelten die Zeitungen.

„Das Charakteristische an Petermann war“, so Zoochef Prof. Gunther Nogge, „daß er sich selbst als Menschen ansah.“ Als mit einsetzender Geschlechtsreife die Auftritte weniger wurden, fehlte Petermann der seelische Halt, der ihm über das schwere Los der Gefangenschaft hätte hinweghelfen können. Resozialisierungsmaßnahmen hielt die damalige Zooführung fahrlässigerweise nicht für nötig, statt dessen wurden Petermann und Lebenspartnerin Susi auf 10 Quadratmeter Kachelzelle in Isolationshaft genommen.

Skandalös auch, daß Petermanns Gagen – zuletzt waren 33.000 Mark auf seinem Postgirokonto – nicht ihm persönlich, sondern dem Kölner Zoo zuflossen. Der baute mit Petermanns Tantiemen 1985 ein modernes Affenhaus. Aber schon bei der Eröffnung war es zu klein, und ausgerechnet dem Mitfinancier und seiner Liebsten wurde der Umzug verweigert. Am 10. 10. 1985, heute vor zehn Jahren, brach das Paar, mit tatkräftiger Hilfe befreundeter Wärter, kurzerhand aus.

Die Freiheit währte nur kurz. Zoochef Nogge rückte persönlich an, um die beiden Flüchtlinge zu stellen. Petermann nahm seinen Haftdirektor vorübergehend als Geisel und biß ihm, angeblich nach einer obszönen Geste seines Widerparts, den halben Mittelfinger der rechten Hand ab und richtete ihn auch sonst übel zu. Das war das Fanal zu einem gräßlichen Massaker: Schwerbewaffnete Guerilla- Einheiten von Zoowache und Polizei zogen auf und richteten zuerst Petermann und dann Susi, die sich auf einem Nachbargrundstück in einem Keller versteckt hatte und genausogut auch hätte eingefangen oder betäubt werden können, hinterrücks hin. Im Moment des Todes reckte der 38jährige Petermann, so Tatzeugen, die linke Faust in die untergehende Sonne des Kölner Abendhimmels. „Der einzig wahre Anarchist und Freiheitskämpfer unserer Stadt“, so ein Petermann-Biograph bald darauf zur Hamburger Zeit.

Petermann war am gleichen Tag gestorben wie zwei ebenso berühmte Medienstars: Orson Welles und Yul Brunner. Aber es war der Affe, der am nächsten Tag auf die Titelseiten der Lokalzeitungen kam. Zoo-Führung und Lokalpresse versuchten die Hinrichtungen damit zu rechtfertigen, daß Petermann „zum launischen Einzelgänger geworden“ und sehr gefährlich sei. Das ist historisch genauso unbelegbar wie der kühne Hinweis eines feministischen taz- Lesers von damals, Petermann habe sich allein womöglich „nicht mal mehr Bananen schälen können“ und sei „nur blöden Blicks hinter der entschlossenen Susi hergetürmt“.

Im Kölner Zoo sind Petermann und Susi heute fast vergessen, auch Erinnerungsfeiern sind nicht vorgesehen. Direktor Nogge erklärte der taz, er wolle am Todestag nicht einmal eine Banane zu Petermanns Ehren essen, freut sich aber, daß er es überhaupt noch könnte, wenn er denn wollte: „Ich bin froh, daß man mich nach der heftigen Attacke von Petermann überhaupt wieder einigermaßen hingekriegt hat.“ Ein spätes Eingeständnis von Mitschuld aber gibt es: „Haltungsfehler“ der Affen habe es damals gegeben, sagt eine Zoo- Sprecherin, und sicher würde man Primaten heute, insbesondere nach Karrieren Petermannscher Ausmaße, „in spezielle Beschäftigungsprogramme einbinden“.

Würde! Denn im Zoo Köln sucht man Petermanns Nachfahren heute vergeblich, weil man gewöhnliche Schimpansen doch, sagt eine Mitarbeiterin im Urwaldhaus, „heutzutage in jedem x-beliebigen Tierpark bestaunen“ könne. Ist das typisch kölsche Nonchalance, gar Arroganz, oder eine dreiste Schutzbehauptung? Warum mußten die beiden wirklich sterben? Fakt ist: Ausgerechnet Petermann und Susi, die mutigen Widerständler, waren im Kölner Zoo die beiden letzten ihrer Art. Schimpansen sind dort seitdem ausgerottet. Bernd Müllender

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen