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Vor der Bundestagswahl: Besuch im Wahlkreis Treptow-KöpenickDie große Gysi-Show, Teil zwei

Linkspartei-Aushängeschild Gregor Gysi will sein Direktmandat verteidigen. Gegen den Entertainer sehen die anderen Kandidaten blass aus.

Raus aus Afghanistan, rein in den Bundestag: Gregor Gysi im Wahlkampf Bild: Reuters

Die Hände vor der Brust gefaltet, einem Büßer gleich, steht Gregor Gysi am Mikrofon. "Ich hoffe auf eine gute Note", wirbt er bei einem "Bürgerforum" in Öberschöneweide um Wählerstimmen. So artig zeigt sich der zumeist scharfzüngige Spitzenkandidat der Linkspartei selten. Abgesichert auf Platz eins der Berliner Landesliste, hat er sein Ticket in den Bundestag längst in der Tasche. Aber Gysi will an seinen Erfolg von 2005 anknüpfen und hier im Wahlkreis Treptow-Köpenick zum zweiten Mal das Direktmandant holen.

Bis dahin, genauer gesagt seit 1990, war der Wahlbezirk 85 im Südosten Berlins fest in SPD-Hand. Der Bundesgeschäftsführer der Partei, Kajo Wasserhövel, Intimus des Vorsitzenden Franz Müntefering, möchte das Mandat zurückerobern. Wasserhövel, Typ Technokrat, ist das absolute Gegenteil von Gysi. Er schlage eher leise Töne an, sagt er über sich selbst. Gysi sei ein Populist und Blender. Das, so die Hoffnung des Sozialdemokraten, würden die Bürger auch erkennen und ihm am 27. September zur Mehrheit verhelfen.

Die Wahl in Berlin

Am 27. September wird der Bundestag neu gewählt. In Berlin gibt es zwölf Wahlkreise, die je einen Abgeordneten direkt entsenden. Die taz stellt die spannendsten Kandidaten und Wahlduelle in einer Serie vor.

Als Direktkandidaten in Treptow-Köpenick treten an: Gregor Gysi (Die Linke), Kajo Wasserhövel (SPD), Niels Korte (CDU), Peter Groos (Grüne), Hellmut Königshaus (FDP).

Das Erststimmenergebnis 2005: die Linke 40,4 Prozent, SPD 33,2, CDU 16,6, Grüne 4,0, FDP 2,4. Bei den Zweitstimmenergebnissen führte die SPD mit 36,6 Prozent. Die Linke bekam 28,4.

Die nächste Folge über Steglitz-Zehlendorf und Mitte erscheint am Freitag.

Beim "Bürgerforum" in Oberschöneweide schaukelt ein Wahlplakat mit Gysis Konterfei im Wind: "Gegen die Rente ab 67," ist darauf zu lesen. Rund 100 Bürger sind gekommen. Die meisten haben dieses Alter längst überschritten. Für Gysi ist dieser Auftritt ein Heimspiel. Er hat sein Jackett ausgezogen, spricht frei. Es bereitet ihm sichtlich Vergnügen, die übrigen Fraktionen im Bundestag als in "einer Konsenssoße" schwimmende "Neoliberale" zu bezeichnen. Die Linkspartei sei dabei der einzige Korrekturfaktor. "Wenn wir stärker werden, werden die anderen sozialer", ruft er, und: "Wir sind der Störenfried." Gysi legt eine kurze Pause ein, seine Augen hinter der runden Brille blitzen vor Vergnügen, dann schiebt er nach: "Ich gebe zu, ich bin gern Störenfried." Das Publikum klatscht begeistert. So lieben sie den Gysi: frech, schlagfertig, kämpferisch.

40,4 Prozent der Wähler in Treptow-Köpenick haben Gysi 2005 ihre Stimme geben. Im Bezirk gibt es Siedlungen wie das Allende-Viertel oder Alt Glienicke, wo man einen Besenstil hinstellen könnte und Leute trotzdem Linkspartei wählen würden. Das erklärt aber nicht Gysis Erfolg in Gegenden wie Alt-Treptow oder Friedrichshagen, wo sich eine bürgerliche Mittelschicht etabliert hat und die Grünen zunehmend punkten. Stasimutmaßungen hin oder her - Gysi ist ein Popstar, über Parteigrenzen hinweg. Er holt die Leute da ab, wo sie sind.

Am besten ist er, wenn er sich am politischen Gegner reiben kann. Gysi habe die Fähigkeit, politische Inhalte auf handliche Größe schmackhaft zu machen, schrieb eine Zeitung dieser Tage. Und Gysi weiß, dass er gut ist. Er ist ungemein eitel. Dass er seit Jahren die gleiche Masche reitet, macht ihn nicht minder sympathisch.

Abends tritt der Vorzeige-Linke in Niederschöneweide mit dem Direktkandidaten der CDU, Niels Korte, auf. Wegen Überfüllung wird die Veranstaltung in dem Seniorenheim per Video nach draußen übertragen. Das Durchschnittsalter ist gefühlte 70, aber es sind auch Jüngere zu sehen. Kaum Platz genommen, löst Gysi bei den Senioren einen Begeisterungssturm aus. "Sie haben hier aber erstaunliche Sessel", stellt er fest und rutscht darin vor und zurück. Für Menschen seiner Körpergröße ist der Stuhl viel zu groß. Berührt der Rücken die Lehne, hängen die Füße in der Luft - ein Problem, das die alten Leute offenbar kennen. Dann erzählt er, dass er von Nebenberuf Facharbeiter für Rinderzucht sei, falls er mal ins Ausland müsse. "Als Jurist kann man da ja nicht viel anfangen." Als die Sprache auf die Gesundheitsversorgung alter Menschen kommt, berichtet er von seiner Mutter, die 2007 im Alter von 95 Jahren starb. Korte wirkt dagegen hölzern und farblos.

Am folgenden Tag, bei einer Podiumsdiskussion des BUND über den geplanten Ausbau der A100 in Alt-Treptow, ist es nicht anders. Diesmal sind alle Direktkandidaten von Treptow-Köpenick geladen. Neben dem CDU-Mann Korte sitzen der Grüne Peter Groos, der FDPler Hellmut Königshaus sowie SPD-Herausforder Wasserhövel auf der Bühne. Der Gemeindesaal ist so voll, dass zusätzlich Stühle aufgestellt werden müssen. Das Publikum ist deutlich jünger als am Vortag. Eingerahmt von drei Bodyguards, die ihn um Längen überragen, stürmt Gysi mit zehn Minuten Verspätung in die Arena. Die verkehrspolitische Sprecherin der Linken, Jutta Matuschek, steckt ihm noch schnell einen Zettel mit Informationen zu. Bei der A 100 geht um lokalpolitische Feinheiten - nicht gerade die Spezialität des Spitzenkandidaten, der über sich selbst sagt: "Ich bin ein Generalist."

Anders als am Vortag wirkt Gysi erschöpft. Er nimmt seine Brille ab, reibt sich die Augen. Es gibt Leute, die sagen, Gysi sei verbraucht, er versprühe keine Leidenschaft mehr. Gysi streitet das ab: "Ich habe noch richtig Lust auf Politik." Erst recht, seit die PDS nach 2007 durch den Zusammenschluss mit der WASG zur Linkspartei auch in den alten Bundesländern im Aufwind sei. "Ich habe nicht gedacht, dass ich das noch mal erlebe", sagt Gysi mit Blick auf das Wahlergebnis im Saarland.

Gysi ist mittlerweile 61 Jahre. Nach mehreren Herzinfarkten und einer Hirnoperation im Jahr 2004 hat er sich geschworen: "Nicht mehr als drei Kundgebungen pro Tag." Damit ihn die Auftritte intellektuell nicht allzu sehr unterfordern, variiert er seine Texte. Einmal, erzählt Gysi, habe er nicht mehr gewusst, ob er schon über den gesetzlichen Mindestlohn gesprochen hatte oder nicht. "Aber in welcher Stadt ich bin, weiß ich immer", meint er.

"Ich bin gegen den Ausbau der A 100" - Gysi ist wieder voll da, als ihm bei der BUND-Veranstaltung das Wort erteilt wird. Dass es dazu in seiner Partei auf Senats-, Landes- und Bezirksebene widersprüchliche Positionen gibt, empfinde er nicht als Problem. "Das kann sich noch ändern." Das Publikum honoriert es mit Applaus. Kajo Wasserhövel dagegen, der die Ausbaupläne des rot-roten Senats verteidigt und sich damit gegen den eigenen SPD Landesparteitagsbeschluss stellt - "das war nur eine knappe Mehrheit" -, wird ausgebuht. Wasserhövel wirft Gysi Unredlichkeit vor, weil der sich ein Hintertürchen offenlässt, aber das steigert seine Popularität im Saal nicht. Auch der Direktkandidat der Grünen zieht den Kürzeren, als er der Linkspartei Widersprüchlichkeit in ökologischen Fragen vorwirft. Die Grünen sollten lieber stille sein, kontert Gysi. "Wer für Krieg stimmt, gerät in den größten Widerspruch zur Ökologie, den man sich vorstellen kann." Die Reaktion: Applaus.

"Um meinen Terminkalender beneidet mich hier keiner", ruft Gysi seinen Zuhörern in Oberschöneweide zu. Vor allem in den alten Bundesländern muss das Zugpferd der Linkspartei im Wahlkampf Punkte holen. Bei der Bundestagswahl 2005 fuhren die Linken 7,5 Prozent ein. "Unser Ziel sind 10 Prozent plus x", ruft Gysi. Für Treptow-Köpenick bleibt da kaum Zeit. Aber das sagt er nicht laut.

Kritische Fragen, was er für seinen Wahlbezirk seit 2005 getan habe, werden ihm kaum gestellt. Wenn es doch vorkommt, erzählt er, dass er einmal im Monat eine Bürgersprechstunde abhält, für die Leute Briefe an die Behörden schreibt, eine Kindereinrichtung sponsert und sich zweimal im Jahr mit Unternehmern zum Frühstück trifft. Nach den Namen darf man ihn indes nicht fragen.

Egal, ob er über die Reichensteuer, 500 Euro als Hartz-IV-Satz, den Kriegseinsatz in Afghanistan oder Banker-Boni spricht - Gysi hat immer eine Anekdote bereit. "Er ist ein großer Entertainer", bescheinigen ihm selbst politische Gegner, die sich mit ihm im Tagesgeschäft abmühen. Und fügen hinzu, dass Gysis Auftritte immer mehr einer Muppet-Show glichen. Die Marke Gysi habe sich verbraucht.

Wenn das mal nicht ein Wunschdenken ist.

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