piwik no script img

Vor Räumung Wohnung beschlagnahmt

■ Vor Zwangsräumung des iranische Ehepaars Dabui wies das Sozialamt die Familie in die Wohnung ein

Mut zu unkonventionellen Lösungen bewies gestern das Sozialamt Charlottenburg. Um einer Zwangsräumung des aus dem Iran stammenden Künstlerehepaars Dabui zuvorzukommen, beschlagnahmte Sozialstadtrat Udo Maier (SPD) die Wohnung und wies die Dabuis wieder in die Wohnung ein. Als Grund nannte die zuständige Mitarbeiterin des Sozialamts, Bloch, daß für den Fall einer Zwangsräumung eine konkrete Lebensbedrohung der Dabuis bestanden hätte.

Der für heute angesetzte Räumungstermin für die Dabuis war das vorläufige Ende eines Rechtsstreits, den der Eigentümer des Hauses Lindenallee 28, Gerd Lehmann, im Februar vergangenen Jahres für sich entscheiden konnte. Reza Dabui, behauptete der Vermieter, habe ihn „schwule Sau“ genannt. Alles Quatsch, meinten dagegen die Dabuis, die unter ihren Bekannten viele schwule Freunde haben. Obwohl das Amtsgericht in erster Instanz für die Mieter entschieden hatte, obwohl Lehmanns Anwalt nur einen „Zeugen vom Hörensagen“ vorweisen konnte, obwohl Hauseigentümer Lehmann den Dabuis zuvor bereits 59 Kündigungen oder Abmahnungen hat zukommen lassen, und obwohl inzwischen mehrere Wohnungen in der Lindenallee 28 leerstanden, urteilte das Landgericht in zweiter Instanz gegen die Dabuis. Selbst die Aussage eines ehemaligen Mitarbeiters von Lehmann bei der Polizei, daß ihm Lehmann 20.000 Mark geboten hätte, wenn er „den Kurden beiseite schaffen“ könnte, blieb beim Vorsitzenden der Landgerichtskammer, Siegried, ohne Folgen. Ein auf Januar angesetzter Räumungstermin wurde schließlich auf Juli verschoben.

Zu einem Zwischenfall kam es, als der „Wiedereinweisungsbescheid“ für die Familie Dabui gestern Hauseigentümer Lehmann übergeben werden sollte. Lehmann weigerte sich zunächst, das Schreiben entgegenzunehmen und griff dann ein Kamerateam des SFB an, das Lehmann auf der Straße gefilmt hatte. Dabei ging eine Kamera zu Bruch.

„Die Beschlagnahme“, meinte gestern Sozialamtsmitarbeiterin Bloch, „ist das letzte Mittel, um drohende Obdachlosigkeit zu vermeiden.“ Sämtliche Versuche seitens des Sozialamts, eine andere Wohnung für die Dabuis zu finden, seien erfolglos gewesen. Der Gerichtsvollzieher wurde vom Sozialamt bereits zuvor über die bevorstehende Beschlagnahme in Kenntnis gesetzt. Lehmann ist auch im Wohnungsamt Charlottenburg kein Unbekannter. Mittlerweile stehen sechs seiner Wohnungen in der Lindenallee 28 leer oder werden als Büroraum zweckentfremdet. Eine Beschlagnahme dieser Wohnungen kommt aber nach Ansicht des Sozialamts nicht in Frage. Versuche der Bezirksämter Kreuzberg und Steglitz, leere Wohnungen zur Einweisung von Obdachlosen zu beschlagnahmen, wurden von den Gerichten zumeist zurückgewiesen. Uwe Rada

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen