■ Vor 40 Jahren begann der algerische Unabhängigkeitskrieg: Die Last der Geschichte
Die Verhältnisse in Algerien erinnern an die 50er Jahre. Auf der einen Seite ein Machtapparat, der seine Herrschaft mit allen Mitteln – Folter und Mord eingeschlossen – zu verteidigen sucht. Auf der andern Seite eine Guerilla, die überall zuschlägt, nirgends zu fassen ist und schon beträchtliche Teile des Landes unter Kontrolle hat. 40 Jahre nach dem Beginn des algerischen Unabhängigkeitskrieges gegen die französische Kolonialmacht versinkt das Land wieder im Terror. Wie damals: oben die Macht, die die Chancen für eine friedliche Konfliktlösung verpaßte, unten depravierte Massen, zur Gewalt aufgerufen damals von Frantz Fanon, heute von Imamen.
Gewiß, der Vergleich hinkt: Die bewaffneten Gruppen der Islamisten genießen heute wohl kaum den Konsens der damaligen Kommandos der Nationalen Befreiungsfront (FLN). Damals war es ein Krieg gegen die fremde Herrschaft, heute gegen das eigene Regime. Trotzdem besteht durchaus ein innerer Zusammenhang zwischen den beiden Kriegen. Die französische Kolonialherrschaft hat ein doppeltes Erbe hinterlassen. Zum einen hat sich das Primat des Militärischen vor dem Zivilen in das unabhängige Algerien hinübergerettet. Zum anderen war Opposition im kolonialen Algerien oft nur unter dem Deckmantel des Islam möglich, dem deshalb eine jener der katholischen Kirche Brasiliens oder Polens vergleichbare Rolle zuwuchs. Die FLN, deren Gründer zum großen Teil selbst überzeugte Muslime waren und die 30 Jahre lang das unabhängige Algerien allein regierte, hat den Islam von Anfang an politisch instrumentalisiert. Dem erstarkenden Islamismus, den sie selbst mit hochgepäppelt hat, machte sie dann 1988 beträchtliche Konzessionen. Die Politik Algeriens, das drei Jahrzehnte sozialistisch regiert wurde, war dann beim Ausbruch des aktuellen Konflikts, vor allem was die rechtliche Stellung der Frau betrifft, islamischer als die der andern beiden Maghreb-Staaten.
Die Chance, die Geister, die es einst leise rief, wieder loszuwerden, haben die algerischen Militärs mindestens zweimal verpaßt: Sie hätten 1991 die FIS, die die Abschaffung der Demokratie offen anstrebte, nicht aus opportunistischen Gründen zu Wahlen zulassen sollen. Und sie hätten dem Wahlsieger 1992 bei allen damit verbundenen Gefahren die Regierungsbildung überlassen sollen. Aber das ist Schnee von gestern. Die Illegalisierung der FIS hat unter den Islamisten die Hardliner gestärkt. Ihr Terror begünstigt unter den Militärs die Falken. Der Dialog, auch nach dem Putsch zu spät gewollt, wird immer aussichtsloser und die Fortsetzung des Krieges damit immer wahrscheinlicher. Thomas Schmid
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