■ Von den Geheimnissen der Subkultur: Der Untergrund lebt
Berlin (taz) – Sie heißen Scumfuck Tradition, Trust, Blurr, Plastic Bomb oder Skintonic und sind nicht etwa exotische Longdrinks oder die Titel von Filmen minderer Qualität, sondern Publikationen aus dem musikalischen Untergrund. Hier schreiben Fans für Fans über Bands, die sonst keiner kennt, keiner kauft und keiner hört. Von Fanzines ist die Rede, von Fanmagazinen in Kleinauflagen, irgendwo zwischen 50 und 5.000.
Während jeder von uns in seinen Teeniezeiten Bravo oder Pop Rocky in den Händen hielt und Blätter wie Metal Hammer oder Spex schon mal am Bahnhofskiosk gesehen hat, ist an Hefte wie Scumfuck Tradition nur auf höchst subversiv erscheinenden Wegen ranzukommen: Schummrige Plattenläden mit langhaarigen Besitzern, hörsturzauslösende Rockkonzerte und obskure Musikversandhandel sind die einzigen Wege, einen Zugang zu diesem subkulturellen Mikrokosmos zu finden. Nur kurz und wenig erfreulich war die Phase der allgemeinen Pressepräsenz des Begriffs „Fanzine“: Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen im Naziglatzenumfeld stießen die Fahnder auf deren simpel aufgemachte Mitteilungsblätter. Spiegel und Konsorten präsentierten diese als „sogenannte Fanzines“ der Öffentlichkeit. Der flüchtige Leser konnte den Eindruck gewinnen, bei Fanzines handle es sich per se um rechte Hetzschriften, was aber so falsch ist wie nur irgend etwas.
Die ersten Fanzines entstanden in den Dreißigern in den USA in Science-fiction-Fankreisen und dienten dem Zweck, sich mit über das Land verstreuten Gleichgesinnten über Dinge auszutauschen, die nur für eine kleine Zahl von Leuten überhaupt von Interesse waren. Kommerzielles Interesse hatte an diesen Heftchen niemand. Mit Schreibmaschine, Schere und Klebstoff zusammengebastelt, dann kopiert oder gedruckt und zum Selbstkostenpreis weitergegeben, bleibt für Herausgeber und Schreiber der auch heute noch oft an Schülerzeitungen erinnernden Hefte im A5- oder A4-Format nichts übrig außer der Überzeugung, der eigenen Meinung ein größeres Forum geschaffen zu haben. Mittlerweile hat aber auch hier die Computertechnologie Einzug gehalten.
Allein in Deutschland existieren heute Hunderte dieser Fanzines, die sich die verschiedensten thematischen Schwerpunkte gesetzt haben, aber in der Regel mit Musik beschäftigen: Von Rolling Stones über Zappa bis hin zu HipHop, Punk, Grunge und den diversen Spielarten des Metal ist das gesamte musikalische Spektrum vertreten, wobei aber der Independentbereich den Schwerpunkt bildet. Der Grund dafür liegt in der Natur der Sache: Fanzines werden von Fans gemacht und von Fans gelesen. Informationsbeschaffung, -aufbereitung und -weitergabe sind aber nur dann interessant, wenn diese Informationen sich nicht auf anderem Wege beschaffen lassen. Da die von den großen Verlagen herausgegebenen Musikzeitschriften aber weitgehend von den weniger innovativen Bands der Industrieplattenfirmen wie Sony, Polydor, EMI etc. dominiert werden und der Musikhörer dort oftmals nur als konsumgeiler Käufer betrachtet wird, haben die Bands kleiner, unabhängiger Labels hier keine Chance. Wer aber beispielsweise auf Sixties-orientierten Garage-Trash nordwestamerikanischer Prägung steht, für den sind diese mit Anzeigen vollgestopften Vierfarbblätter denkbar uninteressant. Ihm bleibt nur, sich auf oben genannten Kanälen ins subkulturelle Kommunikationsnetzwerk der Fanzines einzuklinken. Joachim Hiller
Für Einsteiger: „Der Fanzine-Index“, herausgegeben vom Rockbüro NRW, Rottscheidter Str. 6, 42329 Wuppertal
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