Von Kindern und Karrieren: Projektorientiert in jeder Lebenslage
Man glaubt es nicht: Es gibt Millionen Frauen, aber der bringt sich wegen einer Einzelnen um.
Also, so weit ich das als unbeteiligter Beobachter beurteilen kann, muss ich feststellen: Man hat es nicht leicht als Frau. Durchscannt man die heutigen Frauendiskurse, so stellt sich die Sache so dar: Frauen haben nur Karriere im Kopf und kriegen keine Kinder mehr, mit allen fatalen Folgen für die Demografie.
Frauen haben irgendwann im Leben nichts als Kinder im Kopf und hängen ihre Karriere an den Nagel, mit allen negativen Auswirkungen für Erwerbsquote, Wirtschaftswachstum, Sozialkassen und Frauenquote in den Vorstandsetagen. Mal handeln sie zu feminin, dann zu wenig weiblich. Wenn sie Karriere machen wollen, müssen sie sich an männlichen Tugenden orientieren ("Führungsstärke", "Härte"), was freilich ein bisschen im Widerspruch steht zu dem, was man uns Männern sagt: nämlich dass wir, wenn wir in der fluiden "Dienstleistungsökonomie" bestehen wollen, die weiblichen "Skills", die "emotionale und affektive Intelligenz" zu entwickeln haben. Die Frauen wollen "neue Väter", die Windel wechseln und den Abwasch machen, aber wenn die Kinder wirklich da sind, soll noch der punkrockigste Loser gefälligst damit beginnen, ordentlich Kohle ranzuschaffen. Die Männer macht das nicht froh, die Frauen sind verzagt, glaubt man der internationalen Studie "Women und Employment" - die haben den Glauben daran, dass sich Leben, Kinder und Job verbinden lassen, offenbar verloren in den vergangenen Jahren.
Der jüngste Hype mit Moraltraktaten, aber auch der leise ironischen Lifestyle-Publizistik, ganz zu schweigen von den grassierenden Kinderkolumnen, sie alle sind schöne Indizien für diese Unsicherheiten auf jenem Feld, das man die "politische Ökonomie der Liebe" nennen könnte. Denn die Sache mit den Geschlechtern hat ja nichts Fixes, das weiß man auch, wenn man kein Fan des hermetischen Genderjargons ist.
"Die Frauen, das neueste Sozialproblem", hat Meghan Falvey einen klugen Literaturessay überschreiben, erschienen in N+1, dem Magazin, das unter New Yorks Linksintellektuellen als der letzte Schrei gilt. Frauen haben es schwer, vor allem mit den Männern. Manche Frauen machen aus diesen Problematiken ein gutgehendes Business, wie die New York Times-Kolumnistin Maureen Dowd, die seit Jahr und Tag das Leiden der erfolgreichen Frau beschreibt, deren Problem im Wesentlichen darin bestünde, dass die Evolution der Gleichberechtigung hinterherhinke: "Frauen suchen immer noch nach älteren Männern mit Status, während Männer immer noch auf jüngere Frauen mit bewundernden Augen programmiert sind."
Das ist natürlich nur der flapsig halbkorrekte Lifestyle-Sound, dem die Künstlerin Laura Kipnis unlängst eine Polemik entgegengesetzt hat mit dem feinen Titel: "Against Love." Man solle das mit den Beziehungen aufgeben, sagt sie. Lebensgemeinschaften sind ja, wie wir alle wissen, ein Horror, geprägt vom Überwachungsgeist ("Wo warst du so lange?"), in denen man einen Menschen so lange nahe kommt, bis man alle seine dunklen Seiten kennt, und im Austausch dafür schlechten, aber glücklicherweise seltenen Sex bekommt. Man solle jetzt endlich die gesellschaftlichen Konventionen ablegen und mit dem Mist aufhören, so Kipnis.
Klingt toll und provokant. Aber, fragt Meghan Falvy: Womöglich äußert sich gerade in dieser Radikalität die neue gesellschaftliche Konvention. Der neue, fluide, neoliberale Kapitalismus verlange doch gerade solche Lebensweisen: "Unsere seriale Monogamie, unsere Weigerung, uns auf jemanden einzulassen, unsere Obsession mit der andauernden Selbsterfindung", sie passten prima zu den Charaktereigenschaften, die vom flexiblen Menschen gefordert werden, der mal da, mal dort arbeitet und von seinem Arbeitgeber ohne viel Schulterzucken auf die Straße gesetzt wird, wenn das Geschäft mal schlechter läuft. Der Single sei gewissermaßen im Liebesleben das, was im Geschäftsleben der Freelancer ist, stets fit, immer änderungsbereit. "Projektorientiert" in jeder Lebenslage. Alles drehe sich darum, die nächste Runde des Wandels zu überstehen, sei es in der Romantik, sei es im Geschäftsleben. Wenn das Leben eine Abfolge von Erlebnissen sein soll, dann ist der gewohnte andere eine Chiffre für Langeweile. Und im mobilen Arbeitsleben ist es ohnehin üblich geworden, mit Job- und Wohnortswechsel auch den alten Partner hinter sich zu lassen.
In einer solchen Zeit darf dann auch der Selbstmörder (oder die Selbstmörderin) auf kein Verständnis mehr rechnen, der (oder die) in seiner (oder ihrer) hoffnungslosen Romantik seinem Leben wegen einer Frau (oder einem Mann) ein Ende setzt. "Der hat sich wegen einer Frau umgebracht", erzählte mir mein Nachbar unlängst über einen Fall aus der Umgebung. "Man glaubt es nicht. Es gibt Millionen Frauen, aber der bringt sich wegen einer Einzelnen um."
Selbstmord angesichts einer übervollen Angebotssituation auf dem Romantik-Markt? Wie unökonomisch!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert