Von Jasenovac wollen die meisten Kroaten nichts mehr wissen

■ Der kroatisch-serbische Konflikt verschärft sich jeden Tag. Wieder einmal wird die Geschichte umgeschrieben, diesmal fallen die Opfer des Ustascharegimes während des Zweiten Weltkrieges aus dem Geschichtsbild/ Von Erich Rathfelder

Sie sind sicher Journalist“, meinte die Dame im Touristeninformationszentrum von Zagreb, der kroatischen Hauptstadt, als ich nach einer genauen Karte für die Umgebung der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Jasenovac bat. Ich wollte nämlich an den Ort fahren, wo von 1941 an Hunderttausende von Menschen, vor allem Serben, Juden und Roma auf Befehl der damaligen kroatischen Ustascharegierung ermordet wurden. Dabei legte sie ihre Stirn in Falten, als wollte sie sagen, heutzutage kämen normale Leute gar nicht mehr auf die Idee, an „solch“ einen Ort zu fahren. Mein regungsloses Gesicht und mein nach wie vor auf die Landkarten gerichtetes Interesse ließ sie jedoch wieder freundlicher werden: sie hatte mich offensichtlich als einen den jugoslawischen Konflikten gegenüber ahnungslosen Zeitgenossen ausgemacht.

Noch im Februar vergangenen Jahres, bei meinem letzten Besuch in Zagreb, waren es nicht die nationalen Konflikte gewesen, die alle Gespräche beherrschten. Damals hatten sie um die Demokratisierung, um die Frage, wie die Gesellschaft sich am schnellsten vom alten Regime lösen könne, gekreist. Die kommunistische Regierung in Kroatien hatte gerade schüchterne Reformen durchgesetzt und den Weg für Wahlen freigemacht. Zwar war auch schon damals der Konflikt mit Serbien angesprochen, doch Serbien erschien lediglich als Hemmnis auf dem Weg zur Öffnung. „Wir, die Kroaten, zusammen mit den Slowenen, sind traditionell näher an Europa, wir waren einmal Teil des Habsburger Reichs und sind katholisch. Die Serben jedoch mußten sich jahrhundertelang der türkischer Herrschaft beugen.“ Dort in Serbien erst beginne der Balkan, der orthodoxe Glaube, die orientalische Unbeweglichkeit. So sei es kein Zufall, daß in Belgrad die Kommunisten noch fest im Sattel säßen und weiterhin versuchten, Kroatien zu beherrschen. Die nationalen Vorurteile hatten zwar in vielen Gesprächen durchgeschlagen, doch aggressiv waren diese Worte damals nicht gemeint. Heute dagegen sind überall in Jugoslawien, auch in Kroatien, die nationalistischen Spannungen bis in das Alltagsleben hinein selbst für Fremde spürbar.

Mit den genauen Karten ausgestattet, gelingt es mir, durch das Gewirr der Ausfahrten der Fastmillionenstadt die schmale Landstraße Richtung Süden zu finden. An blühenden Obsthainen führt sie vorbei, mitten durch Dörfer, deren Vorgärten nach Art des ungarischen und rumänischen Banats zur Straße hin offen sind. Je weiter ich nach Süden fahre, desto häufiger werden die Fahnen, die auf den Häusern wehen. Die kroatischen, mit den rot-weiß- gerauteten Schild in der Mitte und die jugoslawischen blau-weiß-roten mit dem roten Stern. Denn hier in Slawonien, der südöstlichen Region Kroatiens, ist die Bevölkerung, geteilt. Kroatische und serbische Dörfer liegen nebeneinander und sind doch getrennt. Und die Bewohner zeigen mit den Fahnen, welcher Nation sie angehören.

Noch vor einem Jahr wären die Unterschiede zwischen Dörfern kaum aufgefallen. Nur die aufmerksamen Beobachter hätten die gedrungenen serbischen orthodoxen Kirchen entdeckt, die sich hinter den einstöckigen Bauernhäusern verstecken. Die katholischen Kirchen mit ihrem barocken Glanz dagegen beherrschen das Antlitz der kroatischen Dörfer.

Mehr als 20 Prozent Serben leben in Kroatien. Hier in Slawonien sind die Konflikte zwischen beiden Volksgruppen schärfer geworden. In Pakrac, auf der anderen Seite des Savaflusses, einer Stadt mit knapp 10.000 mehrheitlich serbischen Einwohnern, entwaffneten am 1. März serbische Milizionäre kroatische Polizeioffiziere. Herbeigerufene Verstärkungen aus Zagreb erhielten den Befehl, die serbischen Milizen in die Schranken zu weisen. Am 2. März kam es zu Schießereien. Als in den serbischen Medien von Toten die Rede war — in Wirklichkeit wurde niemand erschossen — setzte eine Fluchtwelle serbischer Familien aus dem Gebiet ein. Erst als die Armee eingriff, wurde „die Ruhe“ wieder hergestellt. Da auch in dem westkroatischen Gebiet um Knin, wo die serbische autonome Region Krajina Mitte März ausgerufen wurde, sich ähnliches ereignete, ist ein Zeichen dafür, daß gerade auf die Lande die Spannung angewachsen ist.

Jetzt bestimmt das flache Land die Politik

Vor einem Jahr dagegen wurde die Politik vor allem in den Städten gemacht. Da regte sich die demokratische und intellektuelle Opposition in Zagreb und kritisierte die serbische Führung, nicht weil sie Serben, sondern weil sie Kommunisten sind. Als Slobodan Milosevic die Macht in Serbien 1987 übernommen hatte, versuchte er, die marode kommunistische Herrschaft mit nationalistischer Politik zu stabilisieren. Stück für Stück wurden die Rechte der autonomen Regionen Kosovo und Wojwodnina eingeschränkt.

Die Berichte von der Ausrufung des Ausnahmezustands und die Ermordung von über 50 Menschen in Kosovo in den folgenden Jahren wirbelte auch Staub in Kroatien auf. Die Proteste in Zagreb häuften sich — weniger aus Solidarität mit den Albanern, als aus der Angst, die mit der Armee verbündete serbische Führung könnte auch in Kroatien die keimende Demokratisierung verhindern wollen. Drohgebärden aus Belgrad, wie sie sogar noch in den letzten Wochen ausgesprochen wurden, hatten die Stimmung schnell aufgeschaukelt. Und dies ist der Grund, daß bei den Wahlen, die dann im April letzten Jahres stattfanden, die nationaldemokratisch ausgerichtete HDZ (Kroatisch Demokratische Gemeinschaft) unter Franjo Tudjman über 43 Prozent der Stimmen und fast zwei Drittel der Sitze erreichen konnte.

Aber auch die Serben in Kroatien wählten ihre Nationalpartei. Die mit nationalen Parolen antretende Parteien setzten sich gegen diejenigen Parteien durch, die Demokratisierung und Wirtschaftsreform voranbringen wollten. Kroatien machte vor, was sich dann im Herbst auch bei den Wahlen in den anderen Republiken wiederholen sollte: die Wähler entschieden nicht nach politischen und sozialen Interessen, sondern entlang nationaler Zugehörigkeit. Die nationalistischen Populisten setzten sich durch.

Der verzwickte Weg nach Jasenovac

Vielleicht führten auch im Sozialismus nicht alle Wege zur Gedenkstätte in Jasenovac. Doch je näher ich dem Ort des Grauens komme, desto schwieriger wird es, den Weg zu finden. Endlich, in einem serbischen Dorf, ist es wieder da, das grüne Schild, das mit dieser Farbe gegenüber den anderen Wegweisern hervorgehoben ist. Noch in den kleinsten Dörfern hingen früher die Hinweisschilder. Das alte Regime wollte damit die Erinnerung an das Konzentrationslager lebendig erhalten.

Gewiß, manchen war die darin ausgedrückte Pädagogik zu penetrant und zu aufgesetzt, und so wurde sie gerade deshalb von vielen abgelehnt. Die Agitation der Kommunisten sollte zwar die Erinnerung an die Verbrechen wachhalten, was ja verdienstvoll ist, doch diente sie auch und vordringlich der eigenen politischen Legitimation. Weil viele dies durchschauten, verfehlte die Agitation ihr „erzieherisches Ziel“. Ich frage mich, ob in den kroatischen Dörfern die Schilder bewußt abmontiert worden sind. Schlägt das Pendel nun extrem zur anderen Seite aus?

Endlich erreiche ich Jasenovac. Es ist ein kleines Städtchen, das in der milden Sonne dieses Frühlingstages friedlich an den Ufern der Sava und der Una, die hier zusammenfließen, träumt. In der Ferne verschwinden die Hügel von Pakrac fast im Dunst. Schon von weitem ist das Denkmal zu sehen, ein zehn Meter hoher Bau, der Schwingen gleich nach oben strebt. Die Wiese ist weit und flach, und fast scheint es, als grenze sie an den Horizont. Mit Gras bewachsene runde Erdhügel geben die Lage der Baracken und der Einrichtungen des Lagers an. Zur rechten ist ein Damm aufgeschüttet, hinter dem eine Allee von Pappeln den Lauf des Una-Flusses markiert. Auf dem Damm steht ein Eisenbahnzug: Endstation. Hier wurden die Gefangenen ausgeladen. Serben, Roma, kroatische Widerständler, Juden, Kommunisten, Frauen, Männer, Alte und Kinder. Niemand kennt die genaue Zahl.

Obwohl es an diesem Sonnabend schon Mittag ist, bin ich allein auf dem weiten Feld. Kein anderer Besucher ist zu sehen. Auf einem aus Bohlen gezimmerten Weg geht es zum Denkmal, dorthin, wo die Kränze für die Opfer liegen. Einige unansehnliche, vermoderte Heubündel liegen auf dem Boden. Die Blumensträuße müssen schon im letzten Herbst abgelegt worden sein. Obwohl es Frühling ist, hat niemand an frische Blumen gedacht. Es ist ein unwürdiger und gespenstischer Platz geworden.

Auch im Museum bleibe ich der einzige Besucher. Der groß angelegte Parkplatz, auf dem gut und gerne 20 Busse stehen könnten, gähnt vor Leere. Die Museumswärterin ist von meinem Eintritt überrascht. Sie führt mich in den Ausstellungsraum, wo Überbleibsel des Gefangenenlebens in Vitrinen ausliegen: Löffel und Eßnäpfe, selbstgebastelte Kämme, Folterwerkzeuge, eingeschlagene Schädel. An den Wänden sind großformatige Fotos angebracht.

Ante Pavelic — der Führer der Ustascha

Auf einem ist Ante Pavelic, der „Führer“ Kroatiens, der „Poglavnik“, zusammen mit Hitler abgebildet, wie er mit ausgestrecktem rechten Arm eine Parade abnimmt. Ante Pavelic war in den dreißiger Jahren im italienischen Exil gewesen und hatte von dort aus zusammen mit anderen Emigranten die „Ustascha“ reorganisiert. Die Ustascha, ursprünglich eine nationale kroatische Widerstandsbewegung gegen die serbische Dominanz im gemeinsamen Königreich, wurde hier zu einer klerikal- faschistischen Partei geformt, die 1941, mit dem Plazet des deutschen Führers, die Macht übernehmen konnte.

Pavelic hatte aus einem einfachen Grund Erfolg: Das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, das 1918 de facto errichtet (jedoch erst 1921 international anerkannt) wurde, war nämlich von Anfang an kein gleichberechtigter Zusammenschluß: Schon bald beseitigte die serbische Führung die in der österreichisch-ungarischen Monarchie Slowenien und Kroatien gewährten Autonomierechte und forderte damit den Widerstand in diesen Landesteilen geradezu heraus. Als 1929 König Alexander eine Diktatur errichtete und die Verfassung aufhob, und als sich sowohl Kroaten als auch Slowenen formell unterwerfen mußten, da begann der Widerstand militant zu werden. 1932 versuchten die Ustaschen einen bewaffneten Aufstand in Velebit, 1934 wurde der König in Marseille durch ihre Hand ermordet. Mit der Unterstützung der Deutschen errang der kroatische Staat 1939 seine Autonomie zurück. Und als Jugoslawien 1941 gezwungen wurde, den Achsenmächten beizutreten, war der Weg frei für Ante Pavelic. Der Serbenhasser wurde zum Führer des Großreichs der Kroaten.

Im Gegensatz zu Kroatien lehnten sich die Serben gegen Hitler und Mussolini auf. Nach dem Bombardement von Belgrad vor fast genau 50 Jahren (6. April 1941) besetzten deutsche und italienische Truppen die serbischen Kernlande. Pavelic dagegen wurde für seine Treue belohnt und Bosnien Kroatien zugeschlagen: Das war ein großer Brocken, umfaßte das Staatsgebiet nun doch Gebiete, die angesichts der muslimanischen und serbischen Mehrheitsbevölkerung dort den Anteil der Kroaten im neuen Staat sinken ließen. Pavelic und seine Ustascha begannen sofort nach der Machtübernahme alle „Nichtkroaten“ zu terrorisieren. Juden und Roma wurden in Konzentrationslager gebracht, nur wenigen gelang es, in die italienische Zone in Dalmatien zu fliehen, wo ihr Leben nicht bedroht war. Zwar sah Pavelic nach außen hin die serbische Bevölkerung als orthodoxe Kroaten an und propagierte ihre religiöse Konversion. Doch die serbische Bevölkerung konnte seinen Versprechungen nicht glauben. Schon im Juli 1941 wurden in dem serbischen Dorf Glina etwa 250 zur Übernahme des Katholizismus bereite Bauern, Frauen, Männer und Kinder, in die orthodoxe Kirche gesperrt und mit Spießen ermordet. Die Ustascha-Soldateska erhielt freie Hand, bestialisch in den serbischen Gebieten einzugreifen. Schon im Herbst schätzten SS-Dienststellen die Anzahl der erschlagenen, erschossenen oder erdrosselten Serben auf mindestens 200.000.

Es war wohl weniger Humanität, die deutsche Stellen dazu bewog, gegen diese Paktiken bei Pavelic zu protestieren. Es war die Fluchtwelle serbischer Bevölkerung, die dem Widerstand im besetzten Serbien selbst neue Kräfte zuführte. Unter Draza Mihailovic sammelten sich serbische Offiziere und Mannschaften der alten Armee, aufgefüllt durch Freiwillige aus der ländlichen Bevölkerung, zur Tschetnik-Bewegung, die versuchte, zunächst auf lokaler Ebene ihre Landsleute gegen den Terror der Ustascha zu verteidigen.

Und als seit Juli 1941, nach dem Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion, auch die kommunistischen Partisanen unter Tito aktiv wurden, war für die schwachen deutschen Besatzungstruppen ein politischer Ausgleich mit den antikommunistischen Tschetniks geboten. Pavelic gelang es jedoch, diese Kontakte zunichte zu machen. Mit der Verschärfung des Terrors gegen die kroatischen Serben zwang er die kollobarationsbereiten Tschetniks weiter in den Widerstand und entfachte so den Bürgerkrieg, Tschetniks gegen die Ustascha. Pavelic, der fanatische kroatische Nationalist, hob sich ab von den anderen Quislingen Hitlers: Er war zum Ärger der SS gleichzeitig ein gläubiger Katholik.

Franziskaner mordeten eigenhändig im Konzentrationslager

Beim nächsten Bild stockt mir der Atem. Da ist ein Priester gezeigt, der von Gefangenen ausgestochene Augen zu einer Kette verbunden hat. Er trägt sie um den Hals. Es soll ein Franziskaner sein. Einer der Lagerkommandanten war ebenfalls ein Franziskaner: Miroslav Filipovic- Majstorovic, der Schlächter von Jasenovac, der nach dem Krieg hingerichtet wurde. In vier Monaten hat dieser Mann Gottes 40.000 Menschen liquidieren lassen. Fast noch übertroffen wurde er durch den Franziskaner-Stipendiaten Brzica, der in der Nacht zum 29. August

1942, 1.360 Menschen mit einem Spezialmesser zum Teil eigenhändig köpfte.

Mir ist schlecht geworden. Ich gehe an die frische Luft und setze mich auf den Damm. Die Wasser der Una fließen ruhig vorbei. Nur hier und da kräuseln sie sich, ab und an springt ein Fisch nach den Insekten. Warum waren es Katholiken, die sich zu Schergen des Faschismus degradieren ließen? Mir fällt Papst Pius XII. ein, der Pavelic bis zum bitteren Ende nicht nur diplomatisch unterstützte. Für Rom war Kroatien schon seit dem 10. Jahrhundert zum Stützpunkt des Katholizismus im Kampf gegen die östliche Orthodoxie und später gegen die moslemischen Türken geworden. Rechtfertigt das aber die Unterstützung des kroatischen Faschismus? Selbst nachdem die Verbrechen bekannt waren, konnten die Ustaschen auf Rom zählen und ab 1944 die über den Vatikan organisierten Fluchtwege nach Südamerika nutzen. So auch Pavelic, der später bei seinem Freund Peron untertauchte. Nach Perons Sturz kam er nach Spanien und starb dort 1959 in dem Madrider deutschen (!) Krankenhaus.

Bildet die Orthodoxie einen noch größeren Gegensatz zum Katholizismus als zum moslemischen Glauben, um dessen Anhänger die Ustascha sich bemühte? Immerhin wurden mit kroatischer Hilfe bosnische-moslemische Freiwillige zu einer SS-Division zusammengefaßt, die gegen die Serben und Tito kämpfen sollten. Der Fanatismus der kroatischen Ustaschen schöpfte sich auch aus diesen Quellen: den Kampf gegen die Orthodoxie und den Kampf für ein Großkroatien, das damit im Gegensatz zu Serbien stehen mußte. Die katholische Kirche ging mit dem kraotischen Nationalismus eine unheilige Allianz ein, die im Zweiten Weltkrieg sogar vom Papst abgesegnet wurde. Es war, als wiederholte sich die Geschichte: Die damalige Konstellation erinnert an die während der spanischen Reconquista und der Eroberung Amerikas.

Noch immer ist kein anderer Besucher aufgetaucht. Das Museum liegt hinter mir, als sei es schon „abgewickelt“. Der Buchladen ist geschlossen, der früher frequentierte Kiosk ebenfalls. „Informationsmaterial wird nicht mehr gedruckt“, sagt die Wärterin, „kein Bedarf.“

Der Platz der Würdenträger der Nation

Inmitten des „Platzes der Opfer des Faschismus“ in Zagreb steht ein runder Bau, einem griechischen Tempel ähnlich, im Volksmund auch „Djamija“ genannt. Im Schutz der Arkade sitzen Jugendliche an den Säulen und tauschen ihre zärtlichen Heimlichkeiten aus. Drinnen ist ein „Revolutionsmuseum der Völker Kroatiens“, „das Muzej Revoluzije Naroda Hrvatske“, untergebracht. „Der Widerstand gegen den Faschismus von den Völkern Kroatiens ist hier geehrt, die Mehrzahl ist entscheidend“, sagt Zoran Ostriz, ein Mitglied der „Grünen Aktion Zagreb“. Zoran, ein dunkler Enddreißiger, der in den letzten Jahren zur Hefe im Teig der Zagreber Alternativbewegung wurde, und der in einer Seitenstraße aufgewachsen ist. „Hier gegenüber, auf der anderen Straßenseite, diese Gebäude dort, die waren während der Pavelic-Diktatur in Gefängnisse der Ustascha umfunktioniert. Noch viele Alte können sich erinnern, wie damals die Schreie der Gefolterten nach außen drangen.“ Doch im Zuge der neuen Politik des demokratischen Kroatien wurden kürzlich alle Straßen, die sternförmig auf den Platz führen, nach kroatischen Königen aus dem 10. und 11. Jahrhundert benannt, so auch die „Straße der Sozialistischen Revolution“, die nun „König Ivanomir Straße“ heißt. Und der Platz selbst wurde zum „Platz der kroatischen Würdenträger“.

Zwar wollen auch die Oppositionellen den Opfern des Faschismus nicht mehr im Stile der einstmals herrschenden Partei gedenken, doch einfach das Steuer um 180 Grad herumzureißen, geht einigen zu weit. In der Stadt rumort es. Viele Künstler rufen dazu auf, das Museum in eines der modernen Kunst umzuwandeln. „Noch ist die Opposition auch bei diesen Einzelfragen paralysiert. Vielleicht gerade weil es in Kroatien zur Zeit 48 politische Parteien gibt, ist der Einfluß der Öffentlichkeit auf die politischen Entscheidungen gering“, meint Ostriz. Die Kommunisten sind gelähmt, Sozialdemokraten und die Parteien der Mitte noch auf der Suche nach Mitgliedern und Identität. Und die grün-alternativen Gruppen, die bei den Wahlen in der Stadt immerhin je nach Wahlkreisen vier bis acht Prozent errangen und von ihren Mitgliederzahlen zu den stärksten der Parteien gehören, seien allein zu schwach und politisch isoliert, um derartige Entscheidungen beeinflussen zu können.

In einem der neu aufgemachten Cafés in der Altstadt von Zagreb, in denen bis spät in die Nacht reges Leben herrscht, hat sich eine Diskussionsrunde eingefunden. Die meisten hatten Mitte der achtziger Jahre angefangen, politisch aktiv zu werden. Und alle fühlen sich wieder in der Opposition. „Wenn Tausende durch die Straßen flanieren, ist das schon ein anderes Lebensgefühl als es vorher herrschte.“ An der politischen Kultur habe sich dagegen kaum etwas geändert. Im Fernsehen werde nun, ganz im alten Stil, Präsident Franjo Tudjman gezeigt, wie er einen Staatsgast empfängt oder wie er eine Rede hält. Die dritte Meldung des Tages zeige dann Tudjman privat. „Nur die Personen haben sich geändert, sonst ist alles beim alten geblieben. Und stellen Sie sich vor, die erste Auslandsmeldung kommt meist aus Serbien.“ Ist das eine neue Form von Personenkult? „Selbstverständlich. Der Exkommunist Tudjman hat eine Crew um sich versammelt, die aus dem alten Apparat kommt und an den alten Formen nichts auszusetzen habt. Über die Mechanismen der Vergangenheit zu sprechen, ist jetzt schon wieder verpönt. Es wird autoritär regiert.“ Selbst die Journalisten streckten sich nach der Decke. „Der kroatischen Frühling des letzten Jahres ist vorbei. Kritisches der eigenen Regierung gegenüber sei kaum zu finden. „Die Opportunisten haben das Szepter übernommen.“ Deshalb ließen sich die nationalen Konflikte auch so hochschaukeln. „Es fehlen die Gegenstimmen.“

Die Kathedrale — die neue Religiosität

In dem gewaltigen Kirchenschiff hatten sich schon Tausende von Menschen eingefunden. Es ist ein wunderliches Bild, sind doch die Gottesdienste, wie ich aus den vorangegangenen Besuchen wußte, früher gähnend leer gewesen. In den letzten vierzig Jahren war der Katholizismus ins Abseits geraten, die Kirche hatte nicht vermocht, die Schatten der Vergangenheit so glaubwürdig abzuschütteln, daß sie, wie in anderen Ländern des Stalinismus, zu einem Sammelbecken der Unzufriedenen hätte werden können.

Ein junges Paar, er knapp 17, sie gerade mal 16, tritt zögernd durch das Portal. Unter den hohen, gotischen Pfeilern schauen sie sich etwas hilflos um. Die junge Frau versucht mit seltsam ungelenken Bewegungen das Kreuz zu schlagen. Ihr Freund dagegen blickt krampfhaft auf die Priester am Altar.

Auch Ältere tun sich schwer, der Atmosphäre des Gottesdienstes gerecht zu werden. Selbst bei ihnen sind die Bewegungen, der Gang zum Altar, das Platznehmen, noch nicht eingeübt. Mit Olivenzweigen angetan tragen sie ihr neues christliches Selbstverständnis allen sichtbar und fast trotzig zur Schau und auf die Straße. In der Karmelita Utlica, einem Gäßchen, das vom Präsidentenpalast und dem Parlament zur Unterstadt führt, steht in einem Hausdurchgang ein Altar. Fast alle Passanten bleiben stehen und versenken sich in ein Gebet.

Die Kroaten haben die Religion wiederentdeckt. „Vor einem Jahr hat noch niemand an die alte Sitte, in der Osterwoche Ölzweige zu tragen, gedacht, die neue Religiosität ist schon ein Phänomen. Wer nicht religiös ist, muß wohl Angst um seinen Job haben“, spottet Nenad Zakosek, ein Zagreber Soziologe, der auch nach dieser politischen Wende an seinem kritischen Rationalismus festgehalten hat, angesichts all der Massen, die im Stadtzentrum mit Ölzweigen in den Händen schon am frühen Vormittag die Frühlingssonnenstrahlen auf sich wirken lassen. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wer jetzt plötzlich alles religiös geworden ist.“

In Belgrad, fällt mir ein, wird zur Zeit an der größten orthodoxen Kathedrale der Welt gebaut, sie soll größer werden als der Petersdom zu Rom. Und Slobodan Milosevic, der serbische Präsident, verdankt nicht zuletzt der Unterstützung durch die orthodoxe Kirche seine Popularität. Sein Konterfei ist in vielen Kirchen angebracht. Auch dort hat eine religöse Welle die Menschen erfaßt. Belgrad ist im Gegenzug dabei, als zweites Byzanz die Orthodoxie gegenüber Katholizismus und Mosleme zu verteidigen.

In jeder Epoche wird die Geschichte umgeschrieben

Die Kommunisten hatten mit ihrer eigenen Geschichtsinterpretation viele geschichtliche Wurzeln im gesamten Jugoslawien ausreißen lassen. Die Geschichtsschreibung der Ära Tito versuchte die Gemeinsamkeiten zu betonen, knüpfte an die panslawische Bewegung des 19. Jahrhunderts, die Nationalbewegungen der Südslawen, der Serben und Mazedonier, der Kroaten und Slowenen an, die ihren jeweiligen Beherrschern aus Österreich-Ungarn oder der Türkei zu widerstehen suchten. Der Nationalismus des 19. Jahrhunderts hatte sowohl den Nationalismus der südslawischen Völker wie auch die Perspektive eines gemeinsamen jugoslawischen Staates begründet. Nach dem Bürgerkrieg wurde die panslawische Idee für die Ideologie eines sozialistischen Jugoslawiens nutzbar gemacht. Ein Umstand übrigens, der direkt nach dem Kriege für die meisten Jugoslawen einleuchtend war. Gleichzeitig jedoch wurden Teile der Geschichte der einzelnen Völker Jugoslawiens tabuisiert.

So ist die Gegenwelle durchaus verständlich. Waren noch vor Jahren die kroatischen Könige keiner offiziellen Erwähnung wert, ist die Erinnerung an sie Teil der heutigen Ideologie geworden. Auch jetzt werden ganze Perioden der eigenen Geschichte tabuisiert. Die Rückbesinnung auf die nationale Identität und Religion führt wiederum nur zu ihrer Funktionalisierung. Geschichte wird zur Legitimierung der jetzigen politischen Verhältnisse. Und es drängt sich der Verdacht auf, daß diese Geschichtsaneignung helfen soll, den kroatisch-serbischen Gegensatz zu legitimieren. Indem ein Teil der jüngsten Geschichte ausgeblendet wird, indem die Wiederaneignung der Geschichte durch die Menschen selektiv geschieht, kann sie als entlastend empfunden werden. Oder anders ausgedrückt: Die kroatische Gesellschaft will deshalb von Jasenovac nichts wissen, weil die Erinnerung an das Konzentrationslager an der Herausbildung einer heroischen nationalen Identität und an dem Glanz des Katholizismus rüttelt würde. Nicht die Mörder stehen im Zwielicht, sondern diejenigen, die an die Morde erinnern wollen.

In Serbien dagegen wird die Geschichte der Konzentrationslager, auch von Jasenovac, wachgehalten. Vuk Draskovic, der charismatische Führer der Opposition sprach von weit über ein Million Opfern des Konzentrationslagers. Er forderte zu Massendemonstrationen in Jasenovac auf. Für den in Zagreb lehrenden serbischen Historiker Drago Roksandic spricht aus diesen Worten jedoch nicht unbedingt der Wille, die Lehre der Vergangenheit, die aus Jasenovac herauszulesen ist, tatsächlich ernst zu nehmen. Auch in Serbien werde Jasenovac für politische Zwecke funktionalisiert, nämlich die, eine antikroatische Stimmung wachzuhalten. „Der jetzt artikulierte Wunsch, alle Serben in einem Nationalstaat zusammenzufassen, also auch die serbischen Minderheiten in Kroatien darin einzuschließen, befördert den serbisch-kroatischen Gegensatz.“

„Niemand auf beiden Seiten hat sich Rechenschaft darüber abgelegt, welche Interessen Serben und Kroaten wirklich haben.“ Alle Völker Jugoslawiens seien dabei, über den Rückgriff auf die Geschichte einen Teil der gemeinsamen Geschichte zu verlieren. Und indem sie es unterließen, die wirklichen Interessen zu formulieren, verlöre die gesamte Gesellschaft an Zeit. „Doch wir dürfen keine Zeit verlieren, um uns nach Europa zu orientieren. Unsere Kulturen gehören dazu.“ Was bleibt, sei nur die Erkenntnis, daß die Alternative zum Bürgerkrieg der Interessensausgleich sei. Und diese Erkenntnis müsse bald in politische Praxis umgesetzt werden.

Wie wäre es denn, wenn Herr Tudjman nach Jasenovac führe und sein Haupt vor den Opfern verbeugte? Könnte dies nicht der Schritt sein, den Streit zu entschärfen, Serben und Kroaten wieder zu befähigen, auf einer politisch rationalen Ebene miteinander umzugehen? Der Berater des Präsidenten Franjo Tudjman, Dr. Nobilo, ist über diese Frage nicht erfreut. Der etwa 40jährige Ingenieur schnappt nach Luft. „Von serbischer Seite werden ständig falsche Zahlen genannt. Es waren nicht 1,8 Millionen Opfer in Jasenovac, sondern nur 200.000.“ Während er redet, sehe ich die verdorrten Blumen auf dem Boden der Gedenkstätte. Seine Stimme ist hart und bleibt in dem verbindlichen und routinierten Ton des oftmals Interviewten. Auch Dr. Nobilo, kann sich — nicht einmal für einen Moment — aus den aktuellen politischen Denkweisen lösen. Der Serben, Juden und Roma in Jasenovac zu gedenken, wäre, so scheint es, für ihn gleichbedeutend mit einem Kniefall vor dem Feind.

Ich winke nach einem Taxi. Der Fahrer, ein Student, legt eine Kassette mit dem harten Rock einer Zagreber Gruppe ein. Er will wissen, wie mir Zagreb gefällt. „Ich beginne zu erzählen, von Jasenvovac und Dr. Nobilo und von meiner Einschätzung über die Gefahr, in der die Gesellschaften Kroatiens und Serbiens stecken.“ „Für uns kroatische Studenten war es sehr wichtig zu erfahren, daß es in Serbien eine Studentenbewegung gibt. Und die wollen dasselbe wie wir, Teil einer Weltgesellschaft zu sein.“ Er deutet in Richtung Präsidentenpalais. „Denken Sie daran, denen geht es mit dieser nationalistisch gefärbten Politik auch um die eigene Macht.“ Mit einem Schwung zieht er einen schlagstockähnliches Stück Holz vom Hintersitz. „Keine Angst.“ Er hält das Auto an und setzt den Stock an den Mund. Es ist eine selbstgebastelte Flöte. „Wenn es nationalistische Kundgebungen gibt, hab ich die Antwort, ein Happening.“ Und er flötet mit eine Melodie. Als wir am Hotel angekommen sind und ich bezahlen will, lehnt er unwirsch ab. „In Europa fallen die Grenzen, auch wir kroatischen Studenten wollen keine neuen. Schreiben Sie das, Sie sind doch ein Journalist.“