Vom Tropenhelm bis zum Luftfahrzeug

Im Kaufhaus-Restaurant spielte ein Orchester: Erica Fischer und Simone Ladwig-Winters erzählen mit „Die Wertheims“ die Geschichte der bedeutenden jüdischen Kaufmannsfamilie. Heute stellen sie ihr Buch in der Galerie Neurotitan vor

Das Wertheim am Leipziger Platz in Berlin war mehr als ein Warenhaus, es war ein Kulturereignis. Im Restaurant spielte ein Orchester, es gab eine Leihbibliothek und in der „Modernen Galerie“ wurden Kunstausstellungen gezeigt. Das Sortiment im 1897 eröffneten größten und modernsten Warenhaus Europas reichte von Tropenausrüstungen bis zu Luftfahrzeugen. Und seit das Kaiserpaar 1910 zu Besuch gekommen war, wagte sich auch der Adel in den Konsumpalast. Das Wertheim avancierte zum urbanen Zentrum, in dem sich Arbeiterfrauen und Herzöge begegneten – zumindest gemäß der Maxime des Firmenpatriarchen Georg Wertheim (1857–1939), jeden Kunden gleich zu behandeln.

Doch die Berühmtheit des Hauses und seines Chefs, der mit dem Kaiser und den Reichspräsidenten Ebert und Hindenburg dinierte, konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass er wegen seiner jüdischen Herkunft zeitlebens Opfer antisemitischer Attacken blieb, bis hin zur Enteignung im „Dritten Reich“. Wie exemplarisch die Geschichte der Wertheims für das Scheitern der jüdischen Emanzipation in Deutschland überhaupt steht, zeigen die Autorinnen Erica Fischer und Simone Ladwig-Winters in ihrem jetzt erschienenen Buch „Die Wertheims. Geschichte einer Familie“.

Großteils basierend auf den Tagebuchaufzeichnungen des Warenhausgründers Georg Wertheim, haben die Autorinnen die Familiengeschichte vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Nachkriegszeit erzählt und den Stoff eng in den historischen Zusammenhang gebettet. Doch mit der Quellenlage beginnt auch das Problem des Buches. Zwar führte der im Zentrum stehende Georg Wertheim ab 1904 kontinuierlich Tagebuch, doch sind die Eintragungen oft sehr knapp. Gerade zu zentralen politischen Ereignissen finden sich häufig nur kurze Sätze, wie etwa zu Hitlers Ernennung zum Reichskanzler. Deshalb ist man hier ebenso auf Spekulationen angewiesen wie bei den knappen privaten Kommentaren Wertheims. Zur New-York-Reise im Jahr 1924 erfährt man lediglich, er habe eine „sehr schöne Wohnung“ gehabt. Es bleibt den Autorinnen überlassen festzustellen: „Es muss berauschend gewesen sein.“ So kommt man der zentralen Figur des Buches kaum nahe.

Interessant wird es, wenn die Autorinnen am Beispiel der Wertheims darstellen, welchen Hindernissen, aber auch Möglichkeiten der jüdische Emanzipationsprozess in Deutschland unterworfen war. Da Juden der Zugang in die Kaufmannsgilden verwehrt blieb, waren sie aufgeschlossener für neue Ideen, wie der Erfindung des Warenhauses in Paris 1852. Außer Karstadt waren alle Warenhausgründer in Deutschland Juden. Doch die Hoffnung, durch den wirtschaftlichen Erfolg gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen, war trügerisch. Noch 1933 versuchte Wertheim sich dem neuen Regime anzupassen, als man die Hakenkreuzfahne auf dem Dach des Wertheim hisste und jüdische Mitarbeiter entließ.

Bis zwei Jahre vor seinem Tod im Jahre 1939 blieb Georg Wertheim formal Aufsichtsratsvorsitzender, aber man legte ihm bereits 1934 nahe, die Firmenzentrale nicht mehr zu betreten. Was diese Demütigung für ihn bedeutet haben mag, kann man nur erahnen, überliefert ist es nicht. Ab Dezember 1938 prangten am inzwischen in „AWAG“ umbenannten Warenhaus dann die neuen Schilder: „Jüdische Besucher sind hier nicht erwünscht“. CHRISTIAN BERNDT

Erica Fischer, Simone Ladwig-Winters: „Die Wertheims. Geschichte einer Familie“. Rowohlt Berlin 2004, 384 S., 19,90 €. Buchvorstellung, heute, 20 Uhr, Galerie Neurotitan, Rosenthaler Str. 39