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Vom Ruheort zur SpielhölleFalsche Heimat Teestube

Die Teestube ist für viele Ältere ein Ruheort. Doch mit Karten, Sportwetten und Automaten verzocken viele Migranten dort ihre Existenz auf der Suche nach Sinn.

Männerorte: In der Regel gehören die Teestuben Migranten. Es wird gequalmt, gezockt und geredet. Bild: dpa

Für Hasan A. ist die Teestube seit seiner Ankunft in Deutschland 1973 zu einer Ersatzheimat geworden. Hier trifft der Kurde aus dem Ruhrgebiet auf andere Männer, die wie er wenig Deutsch sprechen, einst als ungelernte Arbeiter kamen und blieben.

Die Teestube ist für viele Ältere ein Ruheort, hier sind sie unter sich: Keine Menschen, die einen wegen der Herkunft schräg anschauen. Niemand, der ihre Sprache nicht versteht. Frauen ist der Zutritt zwar nicht verboten, aber es sind Männerorte. In der Regel gehören die Teestuben Migranten. Es wird gequalmt, gezockt und geredet.

Aber ganz so harmlos, wie es klingt, sind die Teestuben nicht immer. Viele Männer lassen hier ihr Einkommen und verschulden sich auf Dauer. Die Behörden sind unsicher, wie sie auf das Treiben reagieren sollen. Eigentlich sind Glücksspiele in Deutschland streng geregelt, das Zocken um Geld ist nur in lizenzierten Spielcasinos erlaubt. Tatsächlich aber bleibt das Theorie: Es lässt sich schließlich kaum verhindern, dass sich Männer hinter verschlossenen Türen zum Spielen treffen und ihr Leben dabei ruinieren.

An manchen Abenden konnte Hasan A. nur zuschauen - er besaß kein Geld mehr. Aushelfen wollte ihm da niemand, denn er hatte schon bei allen Anwesenden Schulden, und die Bank gab ihm auch kein Geld. Zu Hause war ebenfalls nichts zu holen. Für einen kurzen Moment stand dann die Welt still - bis der nächste Lohn kam.

Hasan A. hat sich schon so lange und so tief in seiner Sucht verloren, dass er sich jede kritische Nachfrage verbittet. Wie es so weit kommen konnte? Er zuckt mit den Schultern. Warum er nichts gegen seine Sucht unternommen habe. "Wie denn?", antwortet er. Und ob er nicht ein schlechtes Gewissen seiner Familie gegenüber habe? "Doch, aber es ist nun mal passiert."

Der 63-jährige Kurde ist einer von hunderttausenden Migranten, die spielsüchtig sind. Laut einer vom Institut für Therapieforschung München ausgewerteten Suchthilfestatistik haben 55,3 Prozent der erfassten Betroffenen mit der Diagnose "Pathologisches Glücksspiel" einen Migrationshintergrund. Eine gemeinsame Studie der Universitäten Greifswald und Lübeck kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass "Personen mit Migrationserfahrung oder -hintergrund" besonders anfällig sind für die Glücksspielsucht.

100.000 Euro Schulden

Der Berliner Psychologe Kazim Erdogan geht davon aus, dass 40 Prozent der Spielsüchtigen ausländische Wurzeln haben - die meisten aus dem orientalischen Kulturkreis. Einige von ihnen landen dann in Erdogans Sprechstunde. Er bietet Deutschlands erste und bisher einzige Selbsthilfegruppe für türkische Männer an, in der auch über Spielsucht geredet wird.

Hasan A. sagt, er sei da so hineingeraten. "Was hätte ich denn sonst machen sollen?", fragt er und schaut dabei auf den TV-Schirm. Gemeinsamkeiten zwischen ihm und seiner Frau, sagt er dann, gebe es schon lange nicht mehr, für seine drei Kinder habe er sich nicht interessiert. Irgendwann hörte er auf, seine Sucht zu verheimlichen; er beruhigte, log über die Höhe der Verluste - oder schlug seine Kinder und seine Ehefrau, wenn er sich frustriert und betrogen fühlte vom Glück.

Wann wieder spielen, welche Karten, welcher Einsatz? Rauschhaft, fiebrig, immer öfter, manchmal, ohne geschlafen zu haben. Spielen in der Hoffnung, die nächste Runde doch zu gewinnen, beherrscht von einer einzigen Frage: Wie komme ich an Geld?

Heute hat Hasan A. etwa 100.000 Euro Schulden bei der Bank. Wie viel es genau ist, weiß er nicht, es scheint ihn auch nicht weiter zu kümmern - warum auch? Selbst wenn ihm sein Leben lang das Einkommen gepfändet werde, sagt er, reiche es nicht mal für die Zinsen.

Dankbar, wenn jemand nett ist

Nachdem er sich nicht mehr vom Kartentisch lösen konnte, verlor er seine Arbeit, rutschte in Hartz IV ab. Seit zwei Jahren ist er Rentner. Seine Kinder saßen schon als Minderjährige bei der Schuldnerberatung, um sich zu wappnen: Sollte ein Elternteil sterben, müssen sie rasch das Erbe ausschlagen, sonst bleiben sie auf Hasan A.s Schulden sitzen.

Der Mannheimer Therapeut Mete Tuncay berät seit acht Jahren Migranten, die dem Glücksspiel verfallen sind. Er hat die Beobachtung gemacht, dass der Anteil der wegen dieser Sucht Hilfe suchenden Migranten doppelt so hoch ist wie der Anteil der Migranten in der Bevölkerung. Warum das so ist? Zum einen würden sich die meisten Teestuben und Spielhöllen in abgewirtschafteten Quartieren befinden, nicht selten mit einem hohen Migrantenanteil.

Menschen, die ohnehin labil seien, sich unerwünscht fühlten, würden somit viel öfter mit abhängig machenden Reizen in Berührung kommen. Hinzu komme, dass die Spieler in den Zockerbuden sehr freundlich bedient würden. "Viele Migranten erfahren so oft, dass sie ausgegrenzt werden, dass sie dankbar sind, wenn jemand nett zu ihnen ist", sagt Tuncay. Seine Klienten seien meist männlich, verheiratet und hätten eine Arbeit. Nach außen hin seien die meisten Glücksspieler unauffällig.

Wie Baris C. aus Berlin. Auch seine Probleme begannen mit dem Umzug nach Deutschland. Anders als Hasan A. folgte er 1998 seiner Ehefrau aus der türkischen Provinz hierher, einer in Berlin geborenen Türkin. Baris C. ist ein sogenannter Importbräutigam. Er kam, ohne die Sprache zu beherrschen, musste seine Familie und Freunde zurücklassen und fand lange Zeit keine Arbeit. Genau wie Hasan A. ist auch er spielsüchtig, zockte aber an Automaten oder mit Sportwetten. Die Teestuben locken ihn nicht. Dort seien ihm die Männer einfach zu alt, ihre Themen zu fremd.

Einmal Spieler, immer Spieler

Ein Kollege nahm ihn in eine Spielhölle mit, und bald konnte der Maler und Lackierer es nicht mehr lassen. Immer wieder trieb es ihn in die Spielhöllen von Berlin-Neukölln. Bis zu 30 Stunden pro Woche habe er vor den Automaten verbracht. Jahrelang konnte er den blinkenden Geldspielgeräten nicht zu widerstehen, steckte seine ganzes Einkommen hinein. "So konnte ich meine innere Leere ausblenden", sagt Baris C. Er sei sich "so nutzlos, so wertlos" hier vorgekommen. Bis heute spricht er kaum Deutsch.

Um die zwei Töchter zu schützen, zog seine Ehefrau eine Zeit lang aus. Erst da, sagt Baris C., habe er verstanden, dass er neben seinem Geld auch sein Leben verliere. Seit zwei Jahren spiele er nun nicht mehr, die Sucht lauere aber in ihm. Einmal Spieler, immer Spieler.

Heute hat Baris C. 20.000 Euro Schulden und ist arbeitslos. Er macht seit Kurzem eine Therapie bei Kazim Erdogan. Seine Frau droht ihn zu verlassen, diesmal endgültig, wenn er die Therapie abbricht. Der 35-Jährige ist sich sicher: "In der Türkei wäre mir das nicht passiert." Seine Frau sagt mit Tränen in den Augen: "Er macht es sich einfach und uns das Leben sehr schwer."

Hasan A. weiß, dass er ein auf Lebenszeit ruinierter Mann ist - aber es interessiert ihn nicht. Seine drei Kinder und die Ehefrau werden das schon ausbaden. Ab und an fragt er seine zwei erwachsenen Töchter nach Geld. Sie lehnen meist ab, manchmal aber sind sie so genervt von seinen Betteleien, dass sie ihm doch etwas schicken. Seine Frau wollte ihn immer wieder verlassen, hat es aber nicht geschafft und bei seinen Krediten immer als Bürgin hergehalten. "Ich wollte doch nicht alleine sein in Deutschland", sagt sie und schiebt jammernd hinterher: "Außerdem hatte ich Angst, dass er uns etwas antun könnte."

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7 Kommentare

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  • M
    mirko

    Der einzige den ich kenne der eine Spielhalle eröffnet hat ist ein Türke(einer der wenigen die in Ordnung waren).Das Geld kam von Papa.

     

    Der einzige den ich kenne der eine Kneipe gewonnen und verloren hat ist auch ein Türke.Beim Kartenspiel legte manch einer eine Pistole auf den Tisch-damit niemand falsch spielt.

  • I
    Istdochso

    @ Klostermayr: Wie wär's mit "gesetzlich erlaubte Inländerdiskriminierung"? Deutsche Gastwirte dürfen maximal 3 Geldspielgeräte, die von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zugelassen sein müssen, in ihren Räumen aufstellen. Das dritte Gerät mit Viedeoüberwachung zum Schutz vor unkontrolliertem Spielen. Alle Naslang kommt die Gewerbekontrolle. Bittet er die Damen und Herren vom Amt, mal nebenan im Kulturverein ebenfalls zu kontrollieren, sagen die meist, sie seien nicht zuständig. Weil, das ist ja "Kultur" und nicht Gewerbe. So gelingt es, dass eine unkontrollierte Subkultur entsteht, auch mit der Konsequenz unkontrollierbarem spielsüchtigen Verhaltens.

     

    Spätestens hier führt sich das große Geschrei der Politik um Spielerschutz und Suchtprävention im Zusammenhang mit Glücksspielstaatsvertrag und Vergnügungssteuern ad absurdum. Es wird klar, dass es der Politik nicht wirklich um den Schutz des Menschen geht, solange es solche Teestuben noch geben darf, während ordentlich arbeitende Gastwirte ständig mit neuen gesetzlichen Regelungen überzogen werden.

  • L
    Leidkultur

    Muss ich Mitleid haben? Nein.

    Das hat man davon, wenn man seine Seele verkauft und nur der Kohle wegen nach Deutschland kommt. Problematisch ist für mich, dass es unseren deutschen Kindern in wenigen Jahrzehnten, ich rechne mit nur einem, so ergeht, dass sie sich femd fühlen, fremd sind, und das im eigenen Land, in der einzigen Heimat. Sie haben es aber nicht zu verantworten und ihnen wird auch nicht geholfen werden. Dafür hasse ich die deutschen Poltiker.

  • WE
    Wolfram E.

    Spielsucht hat mit "Ausgrenzung" nichts zu tun. 88,46% aller moslemischen Migranten über 16 Jahren grenzen sich zudem selbst aus. Das haben mehrere Studien bewiesen.

    Unabhängig davon hoffe und bete ich, wenigstens einmal - nur ein einziges mal! - einen positiven Artikel über Moslems lesen zu können.

  • B
    Bräunig

    Mir scheint die Interpretation des Psychologen einseitig: Depravation und Einsamkeit sind sicher Faktoren, die Spielsucht begünstigen.Ich selbst(65J)kenne einen hoch verschuldeten Spielsüchtigen deutscher Herkunft und ich kann auf Kasinoerfahrung verweisen: Die meisten Spieler sind großmannssüchtig, haben immer alles im Griff und wer das nicht hat ist ein Loser!!Das passt doch gut auch zur orientalischen Macho-Mentalität.

  • T
    Trench

    Ich kann mich nicht des Eindruckes erwaehren, dass viele Menschen, die mit der Kultur des nahen Ostens sozialisiert worden sind, den Eindruck haben, ein fremdbestimmtes Leben zu fuehren.

     

    Bitte versteht mich nicht falsch, aber ich beobachte haeufig, dass es ein Gefuehl gibt, das Schicksal nicht in eigener Hand zu haben. In der Erziehung wird sehr stark wert auf Gehorsam gegenueber den Eltern gelegt. Dies geht so weit, dass es z.B. spaeter im Leben kaum Protest gegen arrangierte Ehen gibt.

     

    Ferner habe ich den Eindruck gewonnen, dass kaum wert darauf gelegt wird, seine Gefuehle zu kontrollieren. Laut rumzuschreien, zu weinen oder ein grosses Gewese zu machen (so hat es zumindest den Anschein) wird als voellig normal und nicht als unreif (wie in Europa, Amerika und Fernasien) angesehen.

     

    Sollten meine Beobachtungen sich statistisch belegen lassen (und davon gehe ich aus) wuerde dies durchaus erklaeren, warum Menschen aus diesem Milieu besonders anfaellig fuer Spielsucht sind. Diese Sucht wuerde dieser Logik nach aus einem Mangel an Selbstkontrolle und Bereitschaft sich in Schicksals Hand zu begeben folgen.

     

    Was denkt ihr?

    Trench

  • KH
    Klostermayr, Hias

    In diesen Teestuben scheinen gleich mehrere Gesetze nicht zu gelten.

    Neben dem Glücksspielverbot scheint auch das Nichtraucherschutzgesetz ignoriert zu werden.

    Und die Behörden verzichten auf die Ahndung.

    Ist Bevorzugung nicht auch Ungleichbehandlung und damit Diskriminierung?