■ Vom Nachttisch geräumt: Entmythologisierung
Martin Henkel ist einem der hartnäckigsten Gerüchte des Literaturbetriebes nachgegangen: der Arno-Schmidt-Legende. Ihr zufolge gab es einen deutschen Joyce, einen wahren Heros der Moderne. Er lebte mitten unter uns, und außer von ein paar Jüngern wurde er von niemandem erkannt.
Henkel zeigt, daß dieses Märchen nur wiederholt, was Schmidt extrem erfolgreich über sich verbreitete. Er zeigt, wie extrem des Meisters Selbststilisierung war; er macht auch deutlich, wie miefig verschwiemelt viele seiner Gedankengänge, wie studienrätlich ahnungslos viele seiner besserwisserischen Anmerkungen und Korrekturen waren. Die Bildungshuberei, die die meisten seiner Bücher so schwer erträglich macht, erscheint als der Versuch, es den Studierten einmal richtig zu zeigen. Schmidt ist, mit Henkels Augen gesehen, einer der unfreiesten, verklemmtesten Erscheinungen der deutschen Literatur, eine Jean Paulsche Romanfigur, kein Jean Paul und schon gar kein Joyce.
Der verbissene Ernst, mit dem das eigene Genie behauptet wird, die Bemühtheit, mit der er Kunst durch Verkomplizierung glaubt produzieren zu können, der scheele Augurenblick zu den Gleichgesinnten, die ungewollte Komik seiner erotischen Auslassungen – das alles macht Arno Schmidt weniger zu einem Chronisten der Adenauer-Zeit als zu einem zeithistorischen Dokument.
Martin Henkel: „BLUFF auch mare ignorantiae oder Des king!s neue Kleider“. Kellner-Verlag, 106 Seiten, 28 DM
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