Völkermord: Die Sprache der alten Heimat
Die Türkische Gemeinde will nicht, dass der Bund ein deutsch-armenisches Zentrum unterstützt. Politiker und Experten nennen das nationalistische Profilierung.
Die Beschwerde an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sei schon per Post unterwegs, kündigte Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Ende vergangener Woche an; dann verschwand er in den Urlaub. Der Grund für seinen Brief, der diese Woche am Ziel ankommen dürfte: die deutsch-armenische Akademie "Lepsius-Haus" in Potsdam, welche demnächst mit Geldern der Bundesregierung saniert werden soll. "Der Ausbau wird die Völkerverständigung zwischen Armeniern und Türken erschweren", heißt es in einer türkischen Pressemitteilung des TGD, und: "Die Türken in Deutschland sind traurig und entrüstet bei der Vorstellung, dass die Bundesregierung eine solche Gedenkstätte fördert."
In dem unterhalb des Pfingstbergs gelegenen Haus wohnte und arbeitete von 1908 bis 1925 Johannes Lepsius. Der evangelische Theologe und Gründer des Armenier-Hilfswerks Berlin veröffentlichte mehrere Publikationen zu dem Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich, seine Chroniken gelten seitdem als historischer Beweis für einen Völkermord während des Ersten Weltkriegs.
Die Türkei als Nachfolgerin des Osmanischen Reiches bestreitet nicht, dass es auf türkischem Gebiet Massaker gab, bei dem 1,5 Millionen Armenier umkamen. Sie weist aber bis heute den Vorwurf des gezielten Genozids zurück. "Kenan Kolat benutzt die türkische Gemeinde, um die Regierungspolitik seines Landes hier zu verbreiten", kritisiert deshalb Vartkes Alyanak von der Armenischen Gemeinde zu Berlin. "Was ist denn in ihn gefahren", fragt Tessa Hofmann, Genozidforscherin am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin. "Möchte Herr Kolat sich nationalistisch profilieren?"
Nicht nur von der finanziellen Unterstützung rät Kolat ab; er fordert das Land Brandenburg auch auf, seine Lehrpläne zu ändern. 2004 hatte es als erstes Bundesland die Behandlung des Völkermordes an den Armeniern in den Lehrplan der Schulen aufgenommen. Es war der Klammersatz zum Thema "Entgrenzung von Kriegen; Ausrottung/Völkermord (z. B. Genozid an der armenischen Bevölkerung Kleinasiens)", der zu Protesten des türkischen Generalkonsuls führte. In einem Akt der Selbstzensur wurde das Sätzchen zunächst gestrichen. Als sich dann die armenische Botschafterin beschwerte, lenkte Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) ein. Der umstrittene Passus blieb - und sorgt seitdem immer wieder für verbale Auseinandersetzungen.
Dieser Satz würde die türkischstämmigen Schüler unter "psychologischen Druck" setzten und schade der Leistung, verkündete Kolat vergangene Woche in der türkischen Tageszeitung Hürriyet. Die Sprecherin für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Fraktion, Erika Steinbach, reagierte prompt: "Die Intervention von Kenan Kolat mag vielleicht in Anatolien erfolgreich sein, im bundesdeutschen Brandenburg verbietet sich jedoch eine solche Einmischung in die Schulhoheit." Kolats Begründung, die Bezeichnung "Genozid" setze türkischstämmige Schüler unter Druck, sei absolut haltlos: "Schließlich hat die Hälfte der in Deutschland lebenden drei Millionen Türken überhaupt keinen Schulabschluss, obwohl der Genozid an den Armeniern bundesweit nur im brandenburgischen Lehrplan vorkommt."
Kolats Ankündigung, sich diesbezüglich an den Ministerpräsidenten Platzeck zu wenden, sieht man im brandenburgischem Bildungsministerium sehr gelassen entgegen. "Es gibt keinen Grund für uns, die Lehrpläne zu ändern", sagte ein Sprecher am Montag der taz.
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