Village Voice : Virginia Jetzt! mit der Stufe zwei im Karriereplan, und dank der überwältigenden Emotionen auf „Anfänger“ sollten sie es schon nach vorn in den Charts schaffen
Hört, also hört: „Diese Zeit hat keinen Namen / und keine echten Ideale“. Mit diesen Zeilen beginnt „Anfänger“, das zweite Album von Virginia Jetzt!, auf dem sie sich zudem auf keinen Geringeren als Thomas Bernhard berufen und so ausdrücklich vermelden: Hier hat jemand etwas zu sagen, hier wird jemand erwachsen. Nun zeichnete die vier, die ursprünglich einmal aus Eberswalde nach Berlin kamen, trotz aller demonstrativen jugendlichen Unbekümmertheit schon immer ein gewisser Hang zum Bedenkenträgertum aus: Ihr Pop schien sich nie recht entscheiden zu können zwischen Euphorie und Melancholie, Melodien gaben sich zeitlos und zugleich brüchig wie gefallenes Laub.
„Wir haben Fehler gemacht“, singt Nino Skrotzki im Titelsong des Albums, „das ist nicht zu übersehen“, aber halt eben nicht richtig. Selten zuvor wohl hat eine deutsche Popband ihre Karriere so zielsicher geplant, so genau durchdacht und so clever aufgebaut. Dank Einblicke in die Mechanismen des Musikgeschäfts, die einzelne Bandmitglieder als Praktikanten bei Plattenfirmen sammelten, behielt man jederzeit die Kontrolle und verhinderte geschickt, als One-Hit-Wonder verbraten zu werden. Langsam, aber stetig, das war die Devise, die des Öfteren auch gegen den finanzierenden Unterhaltungskonzern durchgesetzt werden musste, etablierte man einen lokal verankerten Ruf, tourte fleißig und erspielte sich mittlerweile eine so solide Anhängerschar, dass man nun positioniert ist für den Anlauf auf die vorderen Chartsnotierungen.
Die wollen die „Warmduscher“, so eine Selbstbezichtigung, mit „Anfänger“ erreichen und ihrer großen Stärke: Ohne Angst vor überwältigenden Emotionen laufen sie ständig Gefahr, in den Kitsch abzustürzen, aber das ist ihnen herzlich egal. „Ich will Liebeslieder schreiben“, singt Skrotzki, „die so nah sind an Gefühl, die so wahr sind und so wehtun, dass sie keiner hören will, ich will sagen können, was gut ist, was ich jeden Tag hier seh, das ist mein Land, meine Menschen, das ist die Welt, die ich versteh.“ Was bei Mia nach neuem Nationalismus klingen könnte, wirkt bei Virginia Jetzt! allerdings eher wie ein verzeihbarer Lapsus im System, denn immer wieder drehen sie Allgemeinplätze um („Du musst da hin, wo es wehtut“) und verrücken Klischees zentimeterweise. Manchmal funktioniert das erhellend, manchmal endet es eben als Rohrkrepierer.
Aber trotz aller Anzeichen auf Alterung, trotz des unüberhörbaren Willens, eine angemessene Reifung an den Tag zu legen, wuchern Virginia Jetzt! weiter um nahezu jeden Preis mit ihrer Jugendlichkeit. Fast schon trotzig loben sie die romantische Vorstellung vom Tourleben. Die Rebellion aber, muss man leider feststellen, die findet woanders statt. So nach allen Seiten abgesichert und ohne jede klitzekleine Berührungsangst gab sich selten eine Band, das beweist schlussendlich der Hidden Track, auf dem selbst Wolfgang Niedecken einen Gastauftritt hat. Das muss man sich erst mal trauen wollen. Und dann darf man auch. Am Montag steht das Album in den Läden. THOMAS WINKLER