Village Voice: Kuß auf mein T-Shirt
■ Meta-Pop: „Teenie Trap“ von Madonna Hip Hop Massaker
Willkommen in der Welt aufgeklebter Wimpern, in der Welt teurer Bühnenkleidung und Kunsthaarperücken, wo Federboa-Allergiker einen schweren Stand haben und Make-up so wichtig ist wie Melodie! Willkommen in der Welt des Glamour! Wo Schein wichtiger ist als Sein, und der Spaß regiert. Willkommen in der „Teenie Trap“! Willkommen bei Madonna Hip Hop Massaker!
Bevor diese drei sich einen Major-Deal angelten, schien es unmöglich, daß so ein Pop-Overkill in Deutschland geschehen konnte. Und schon gar nicht in Berlin. In England kommt so was natürlich vor, wie zuletzt wieder Shampoo bewiesen. Und in Japan, von wo aus Pizzicato Five ihr Glückswesen treiben. Der offensichtlichste Bezugspunkt sind natürlich Deee-Lite, weil Geschlechterkonstellation, Aufgabenteilung und Stilbewußtsein sich stark ähneln.
MHHMs Platte heißt nicht umsonst „Teenie Falle“. Dreist wird die Brücke geschlagen zwischen den Jungmenschen, die sich Löcher in ihre ausgewaschenen Jeans reißen und glauben, was sie da hören, sei Grunge, und den elektronischen Sounds, zu denen die restliche Hälfte ihre ersten feuchten Träume hat. Gleich im ersten Stück heißt es „I have more fun in being pop / I get to go to better parties“, und das Thema wird fortan nur noch unwesentlich variiert: Ich will berühmt sein, ich bin berühmt, ich möchte einen Kuß auf mein T-Shirt, schüttel deine Hüften, und ich schenke dir ein Lächeln, uuh-aah.
Auch „Lassie“ fällt da nur wenig aus dem Rahmen. Musik und Melodien decken die gesamte Produktpalette zwischen Sex Pistols und New Kids On The Block ab, ohne daß einem das Ergebnis Magenkrämpfe verursacht. Dazu ist „Teenie Trap“ viel zu teuer und gut produziert. Dafür paßt es aber auch in nahezu jedes Radioformat.
Nicht nur der Titel der Platte beweist, daß MHHM genau wissen, was sie tun. Im Gegensatz zu bisherigen Pop-Ansätzen stellen sie sich nicht nur augenzwinkernd, sondern ganz offensichtlich und mit vor der Brust verschränkten Armen neben die von ihnen dargestellten Rollenmodelle. Unter einem Foto der drei steht ganz ernsthaft: „Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, sind rein zufällig.“ Dieser Versuch von Meta-Pop ist zwar nicht neu, aber war bisher ziemlich erfolglos. Ich sage nur Sigue Sigue Sputnik. Was nicht bedeutet, daß diesmal nicht doch der Rubel rollen könnte.
Und noch ein Name muß fallen: Atari Teenage Riot. Nicht, daß es persönliche Querbezüge oder musikalische Ähnlichkeiten geben würde, aber MHHM könnten demnächst die Aufgabe erfüllen, die den Ataris vor zwei Jahren gestellt wurde: richtige deutsche Popstars abzugeben, indem man die Brücke zwischen Tanzboden und Punkrock schlägt. Denn während die Ataris auf ihrem Underground-Status beharrten und sich ganz schnell aus dem anschwellenden Techno-Getümmel verabschiedeten, lassen sich MHHM ganz entschieden auf das unvermeidliche Spielchen mit den Images, den Symbolen und dem Warencharakter ein. Diese Band sieht nicht nur aus wie eine Collage aus Bravo-Ausrissen, sie klingt auch so. Der fleischgewordene Traum eines Medienkonzerns.
Ob MHHM ihre Warholschen 15 Minuten Berühmtheit schon ausgeschöpft haben oder ob da noch mehr kommt, wird ausschließlich von ihnen und ihrer Substanz abhängen. Die Zeit wird weisen, ob die Deutschen Pop auch großgeschrieben verkraften. Planen können sie ihn perfekt. Das immerhin haben Madonna Hip Hop Massaker bewiesen. Thomas Winkler
Madonna Hip Hop Massaker: „Teenie Trap“, eastwest/Warner
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