Village Voice: Geili, geili Supertypen
■ Überall Punk-Pimmel: Ärzte, Terrorgruppe, Bert'z Rache
In jeder Publikation, die es gut meint mit der Jugend, steht's geschrieben: Punkrock ist wieder da. Mal unter dem Etikett „Neo“, mal als bloßes Revival – mit Punk fängt man junge Mäuse. Sogar in Berlin hat sich das rumgesprochen.
Altgediente Recken vor dem Sid sind die Ärzte – wiewohl man ihr schon einige Jahre zurückliegendes Comeback nicht unbedingt unter Revivalgesichtspunkten abhandeln möchte. Dafür sind sie zu schlau und erfolgreich.
Teenkult wurde zwar schon früher um sie getrieben – Berliner Freunde und Freundinnen wissen da hübsche Anekdoten aus ihrer Schulzeit zu berichten – aber das hatte wohl damals, natürlich eingebettet in kiloweise Fun, zumindest in Ansätzen noch was mit Aufbegehren und Dissidenz zu tun. Heute sind Die Ärzte bigger than life und empfangen auf ihren (stets ausverkauften) Konzerten gleich mehrere Generationen.
Über eine perfekt organisierte Marketingstrategie an die Fleischtöpfe des juvenilen Begehrens gelangt, servieren sie in fortgeschrittenem Alter Pop, Glamour und Teenspaß, ohne jedoch auf einen etwas müden, aufklärerischen Sozialarbeiterstatus verzichten zu wollen. „Le Frisur“ heißt ihr drittes Album in dieser neuen, guten Zeit, und es ist ungeplant ein „Konzeptalbum“ geworden: mit Haaren, Bärten und Frisuren als thematisch sich durch Songs schlängelnde Leitfäden. Ohne Accessoires keine Pop- oder Jugendkultur, das wissen Bela B. und Co gut. Oder anders ausgedrückt, auf hessisch- rödelheimerisch: „Dein Schteil ist so geil“.
Anhand dessen lassen sich hervorragend Geschichten von verklemmten Eckenstehern (die nicht immer Skins sein müssen) erzählen, die ganzen Stories über Pickelgesichter, Fettärsche und „Geili, Geili-Supertypen“, denen zum Lebens- und Liebesglück allein der Dreitagebart von Don Johnson fehlt. Selbst musikalisch kann man sich den Songs nicht ganz entziehen: Kunterbunter Hard- und Punkrock mit manchen Feinheiten und schlagerverdächtigem Mitgrölpotential (die größte Leistung der Ärzte besteht jedoch immer noch darin, einmal dem Herrn Küppersbusch in seiner Sendung die Maske von seinem überlegenen Schnellrednergesicht gezogen zu haben).
Die Terrorgruppe hingegen muß noch ein bißchen üben, um dieselbe Unangreifbarkeit der Ärzte zu erlangen. Man arbeitet sich auf dem neuen Album an Themen wie Masse und Macht ab, verfolgt aufmerksam die Boulevardpresse und versucht damit zum x-ten Mal, zu den Konvertierten zu preachen. Witzig soll es wohl sein, hört sich aber eher schwitzig und muffig an. Obwohl: Ihr Song „Der Rhein ist tot“ gefällt mehr als gut, der müßte selbst eingefleischte Punkmuffel aus den Sesseln hüpfen lassen.
Und Bert'z Rache? Die haben ihrem Album den Titel „Überall Pimmel“ gegeben und sprechen in ihrem Infozettel von „omnipotenter Pubertät“ als Schlüssel für den Erfolg. Regression, Baby!
Als „straighter Rock“ wurde ihr Sound in dieser Zeitung mal bezeichnet: Beim Hören ihres Albums macht dieser Rock aber eher einen verspielten und gar nicht soooo unlustigen Eindruck, da klopft man sich gern mal auf die Schenkel. Und verhandeln tun sie eher Alltägliches: Das was man so verspricht, wenn man amAbend zuvor seine zehn, zwölf Flaschen Bier getrunken hat. Und da paßt zum Abschluß auch noch ein Zitat der Ärzte, aus dem viersekündigen Schlußsong: Puh, das war harter Stoff. Gerrit Bartels
Die Ärzte: „Le Frisur“ (Metronome)
Terrorgruppe: „Melodien für Milliarden“ (Metronome
Bert'z Rache: „Überall Pimmel“ (Buschfunk)
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