■ Vier Karibik-Staaten wollen in Haiti mitintervenieren: Dramatische Inszenierung
Findet die militärische Intervention in Haiti in der ersten Hälfte des Septembers statt, wie Clinton es vor einigen Wochen zu verstehen gab? Oder stehen wir wieder vor eine Phase der Anspannung ohne Ergebnis? Der Stellvertreter des amerikanischen Außenministers kündigte zwar an, daß die Zeit des Handelns gekommen sei. Die Erfahrungen der letzten Monate aber lehren uns, abzuwarten und keine vorschnellen Erwartungen zu hegen. Auch die Zusage von vier karibischen Staaten, Soldaten für eine internationale Peacekeeping-Truppe bereitzustellen, beschleunigt das Schneckentempo der Krisenlösung nicht. Sie wollen keinesfalls an eventuellen Kämpfen teilnehmen und wären mit nur 266 Männern beteiligt. Soweit waren wir vor einigen Wochen schon, als einige mittelamerikanische Länder ihre Teilnahme ankündigten.
Wichtiger wäre es, das Augenmerk auf die Position der lateinamerikanischen Länder zu lenken, die sich gegen jedwede militärische Aktion ausgesprochen hatten und nun ihrerseits den Versuch starteten, mit den Militärs zu verhandeln. Halten sie an ihrer Opposition auch nach den jüngsten Provokationen durch die Militärs in Port-au-Prince fest? Diese drehen nämlich munter an der Schraube weiter und spitzen den Konflikt zu. Der Entsandte des UNO-Generalsekretärs, der letzte Bemühungen für eine friedliche Lösung des haitianischen Konfliktes unternahm, wurde von den illegalen Machthabern gar nicht empfangen. Butros Ghali hatte angesichts der Opposition der lateinamerikanischen Staaten diesen Weg nicht unversucht lassen wollen. Jetzt erklärte er seine Bemühungen für gescheitert und empfahl die vorgesehene Invasion. Auch der jüngste Mord an einem in der Basisbewegung sehr engagierten Priester schraubt die Spirale der Provokationen höher, indem er jetzt den Vatikan zwingt, endlich zur täglichen Gewalt in Haiti Stellung zu nehmen, beziehungsweise es nicht zu tun und somit klar gegen die Befreiungstheologen Lateinamerikas Position zu beziehen.
Die haitianischen Militärs indes haben durchaus Sinn für dramatische Inszenierungen. Sie rüsten „freiwillige“ Milizen auf und kaschieren damit, daß die Zahl der Deserteure in den eigenen Reihen seit der Annahme der UNO-Resolution zugunsten des militärischen Eingreifens drastisch zugenommen hat. Sie verkünden lauthals, sie hätten genug Benzin, um noch 18 Monate lang die Stellung zu halten, während viele ihrer zivilen Verbündeten über die Beschlagnahmung aller Benzinreserven, sogar der für humanitäre Zwecke bewilligten Mengen, murren. Auch der Voodoo, der offenbar vor allem die Bevölkerung westlicher Länder das Fürchten lehren soll, wurde mit allen notwendigen Requisiten aufgefahren.
Eine insgesamt bisher gelungene Vorstellung, die die wahren Gründe dieses Machterhalts verstecken soll. Sind es die Pfründe aus dem Schwarzmarkthandel oder die Drogengelder aus dem großangelegten Kokainhandel, die Cédras und seine Spießgesellen zu diesem grausamen Spiel treiben? Wie einträglich die Geschäfte auch sein mögen, so besitzen die Militärs doch genug Realitätssinn, um zu wissen, daß selbst die sauberste demokratische Regierung nicht alle illegalen Geldhähne auf einmal schließen könnte. Eine militärische Intervention und die anschließende Präsenz einer internationalen Peacekeeping-Truppe würden die Militärs aber vor den Racheakten der Bevölkerung schützen und die Armee als Institution retten helfen. Ein absurder Gedanke? Alles ist in Haiti absurd zur Zeit, nur das unermeßliche Leiden der Menschen und ihr ungebrochener Wille zur Würde und Selbstbestimmung fordern noch Respekt. Carole Sambale-Tannert
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