Viele lieben : Neue Ideale
Eifersucht, Fremdgeherei, der ganze Elendskatalog der klassischen monogamen Beziehung soll in der praktizierten „offenen Beziehung“ einfach verschwinden. Leute, die man so kennt und die es schon mal „offen“ probiert haben, mögen daran meist nicht mehr so richtig glauben. Trotzdem scheint Polyamory gerade ein Trend zu sein wie Vegetarismus oder Veganismus. Bücher erscheinen vermehrt zum Thema und Tom Tykwer hat gerade erst mit „Drei“ den Film zur Polyamory-Debatte erfolgreich in die Kinos gebracht.
Im Jugendclub „Linse“ in Lichtenberg gab es jetzt eine weitere Diskussion zum Thema. Die Ausgangslage war klar: monogam ist schlecht, das Ideal der Zweierbeziehung ein historischer Irrtum. Deswegen wurde kontinuierlich in der Gesprächsrunde herausgearbeitet, wie in polyamoren Strukturen die Eifersucht verschwindet, wie man problemlos mehrere Partner gleichzeitig haben kann, wie überhaupt die polyamore Welt eine bessere sein könnte. Doch je mehr Erfahrungen ausgetauscht wurden, welche realen Probleme Mehrfachbeziehungen dann doch so mit sich bringen können, desto gruseliger kam einem das Polyamorykonzept vor. Nicht mehr um einen Partner hat man sich da zu kümmern, sondern um mehrere. Wie soll man da vor lauter „Beziehungsarbeit“ noch zu etwas anderem kommen? Hat man mit jemandem seit drei Jahren was laufen, darf der Partner natürlich trotzdem mit seiner neuen Flamme in den Urlaub fahren. Hat man zu akzeptieren, weil Eifersucht, das darf ja nicht sein.
Irgendwann dachte man sich: Warum sollte man aus einem Problem ganz viele Probleme machen? Nur weil die Idealisierung der monogamen Beziehung tatsächlich Unfug ist, wird Polyamory noch längst nicht die bessere Lebensweise. Und könnte man nicht versuchen, eine ganz andere Sache zu popularisieren, nämlich: das Single-Dasein? ANDREAS HARTMANN