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Archiv-Artikel

Viele Flüchtlinge sind im Abschiebeknast Büren inhaftiert, obwohl sie nicht ausgewiesen werden können Wie das Land NRW die „freiwillige Ausreise“ von Flüchtlingen fördert

HEIMAT-KUNDE Cosmo TV und taz nrw berichten gemeinsam über Migration und Alltag

Einem Aufenthalt im Abschiebeknast muss nicht zwangsläufig eine Abschiebung folgen – doch den Betroffenen raubt die Inhaftierung meist die Existenz. „Etwa 15 Prozent der Flüchtlinge, die in Büren inhaftiert werden, werden wieder entlassen, weil die Herkunftsländer nicht kooperieren“, sagt Frank Gockel vom Verein für Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren.

Besonders betroffen seien bis vor kurzem indische Flüchtlinge gewesen, so Gockel. „Bis Februar wurden 80 Prozent der inhaftierten Inder wieder freigelassen.“ Mittlerweile würden papierlose Inder nicht mehr in Abschiebehaft genommen. Marokko, Vietnam und Pakistan sind weitere Länder, die keine Pässe ausstellen und somit eine Abschiebung der Flüchtlinge aus Deutschland verhindern.

Viele der betroffenen Flüchtlinge leben lange in Deutschland, oft zehn bis 20 Jahre. Ihre Kinder werden hier geboren, kennen kein anderes Land als Deutschland. Sie leben hier mit so genannten Kettenduldungen, die zwar keinen sicheren Aufenthalt versprechen, aber den Aufbau einer bescheidenen Existenz erlauben, mit einer Wohnung, Arbeit und einem Schulbesuch der Kinder. Wenn die im Fachjargon „Abschübling“ genannten Menschen nicht bei der Passbeschaffung kooperieren, kann ihre Haftzeit auf die Maximaldauer von 18 Monaten verlängert werden. Durch die Festnahme und der mehrere Monate andauernden Inhaftierung verlieren die Menschen ihre mühsam aufgebaute Existenz, viele zerbrechen daran.

So paradox und unsinnig es auch scheinen mag, Flüchtlinge, die nicht abgeschoben werden können, in Abschiebehaft zu nehmen, für die Behörden macht das Sinn: Im Gefängnis werden die Flüchtlinge „intensiv“ dahingehend „beraten“, freiwillig auszureisen.

Büren ist ein Vorzeigeobjekt in NRW und das größte Abschiebegefängnis in Deutschland zugleich. Doch Gefängnis bleibt Gefängnis. Frank Gockel, der ehrenamtlich den Gefangenen hilft, sieht seine Arbeit zwiespältig. „Im Besucherraum spielen sich erschütternde Szenen ab: Wenn sich eine Frau mit kleinen Kindern vom Ehemann trennen muss und sie sich das letzte Mal sehen. Wenn Gefangene da sitzen und begründete Todesangst vor der Abschiebung haben.“ Gockel sei da in einem Gewissenskonflikt: „Durch unsere Arbeit unterstützen wir das System, halten die Gefangenen ruhig und machen ihnen auch Hoffnung. Genauso gut versuchen wir auch Sand in die Abschiebemaschinerie zu streuen. Ohne uns gäbe es keine Gegenöffentlichkeit.“

Jedes Jahr kommen in Deutschland schätzungsweise 20 bis 30.000 Menschen in Abschiebegefängnisse. Die JVA Büren durchlaufen jährlich etwa 3.500 Gefangene. Die Inhaftierten wissen oft nicht, warum sie in ein Gefängnis gebracht werden. Angst, Depressionen und Suizidgedanken sind oft die Folge der Abschiebehaft.

Immer wieder treten die Häftlinge in Hungerstreik, um auf ihre prekäre Situation hinzuweisen. In Büren trat im Januar 2005 der kurdische Flüchtling Dogan Güven in Hungerstreik, bis er am 16. März nach 75 Tagen in Hungerstreik aus der Justizvollzugsanstalt entlassen wurde. Das Verwaltungsgericht in Potsdam hatte mit einer einstweiligen Anordnung entschieden, die Abschiebung nicht zu vollziehen, bis über den Asylfolgeantrag Güvens entschieden würde. Von 1993 bis 2004 kam es bundesweit zu 48 Todesfällen in der Abschiebehaft. CILER FIRTINA

Mehr zum Thema „Abschiebehaft und Abschiebepraxis“ in der Cosmo TV-Sendung am kommenden Samstag um 14.00 Uhr im WDR-Fernsehen. Unter anderem mit einer Reportage aus dem Abschiebegefängnis Büren und der Geschichte eines Flüchtlings, der nach seinem Gefängnisaufenthalt seine Existenz verloren hat.