Videokunst in München: Erinnern, nicht mahnen
Im Luftschutzkeller des Münchener Hauses der Kunst artikuliert die Ausstellung "Aschemünder" einen globalen und sensiblen Blick auf Krieg und Traumata.
Es war eine spektakuläre Premiere. Denn das neugierige Publikum im Münchener Haus der Kunst warf Anfang April nicht nur einen Blick in eine umfangreiche Videokunst-Ausstellung und damit gleichzeitig in nie zuvor genutzte Räume des ehemaligen Luftschutzkellers. Es wurde ihm auch ein zukunftsweisendes, neues Modell der fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen einem öffentlichen Museum und einer privaten Sammlung vorgestellt.
Bereits seit 2005 im Gespräch, musste das ambitionierte Projekt bis zur aktuellen Ausstellung "Aschemünder" allerdings einige Hürden, darunter eine Wirtschaftskrise, meistern. Zunächst spielte Ingvild Götz, eine der bedeutendsten Privatsammlerinnen Deutschlands und ein Lichtblick in der noch karg bestückten zeitgenössischen Kunstszene Münchens, mit dem Gedanken, einen Teil ihrer Sammlung in neuen Räumen zu zeigen, nicht mehr nur in ihrem Oberföhringer Kunstbau von Herzog & de Meuron. Berlin wäre eine Option gewesen. Freilich nur solange man nicht mit dem engagierten Ministerialdirigenten Toni Schmidt rechnete. Für ihn stand von Anfang an fest: Diese Sammlung muss in München bleiben.
Das entscheidende Argument einer Zusammenarbeit mit dem Haus der Kunst war der geplante Umbau seines Westflügels, für den ein finanzstarker Partner gesucht wurde. Die Idee war also, dass die Sammlung Götz den neuen Westflügel des Hauses bespielen sollte, wobei die Kosten und Entscheidungen in einer gleichberechtigten Partnerschaft von beiden Häusern getragen würde. Ein tragfähiges Konzept, bis die Finanzkrise kam und die Renovierung des Westflügels auf Eis gelegt werden musste.
Zu diesem Zeitpunkt entstand dann die Idee, den ehemaligen Luftschutzkeller als alternativen Museumsraum auszubauen. Schon bei der ersten Besichtigung der Räumlichkeiten war klar, dass dieser in Dunkelheit getränkte und nahezu schalldichte Ort perfekte Bedingungen für die Präsentation von Film- und Videokunst bietet und deshalb diesem Medium gewidmet werden würde.
Für Ingvild Götz, die die erste Ausstellung kuratierte, war die Arbeit in den geschichtsträchtigen Räumen des Luftschutzkellers des Hauses der Kunst eine enorme Herausforderung: "Die Frage war für mich vor allem, wie man mit der Geschichte, die diesen Räumen anhaftet, sensibel umgeht, ohne noch einmal eine Ausstellung über den Nationalsozialismus zu machen. Es stand schnell fest, dass es um Krieg und Kriegserlebnisse gehen muss. Ich glaube, anders konnte man mit diesen Räumen gar nicht umgehen."
Allein der Schritt vom Parkplatz hinter dem Haus der Kunst in die kühlen, von leisem Gemurmel durchsetzten Räume des Luftschutzkellers ist beeindruckend. Mit dem schwindenden Tageslicht verblasst zunehmend auch die Wahrnehmung von Raum und Zeit und ein Gefühl des Ausgeliefertseins macht sich breit. Eine ideale Bedingung für die Rezeption von Videokunst, folgt man Chris Dercons "Gedanken über die Kunst der Projektion im Museum".
Gefühl des Ausgeliefertseins
Und wirklich - ohne auf klassische Schockeffekte zurückgreifen zu müssen, bannt den Besucher die unmittelbare Ansprache der einzelnen Arbeiten, die in den 14 kleinen Räumen links und rechts des Flurs wie Häuser auf einer Straße verteilt sind. Schon der Auftakt mit "Still Life", Sam Taylor Woods moderner Adaptation des Vanitas-Motivs, evoziert subtil Assoziationen von Vergänglichkeit und Vernichtung und gibt den Ton der Ausstellung vor: Erinnern ist hier das Credo, nicht mahnen. Opfer und Täter kommen dabei in gleichem Maße zu Wort.
Während sich die palästinensische Künstlerin Mona Hatoum mit ihrer Exilsituation und der Entfremdung von ihrer Heimat auseinandersetzt, beschreibt im Raum gegenüber ein ehemaliger UN-Soldat seine Schlaf raubenden Erinnerungen an das Töten. Etwas weiter gewährt Omer Fast mit vier Interviews von Angehörigen einer israelischen Panzerbesatzung einen dokumentarischen Einblick in das Innere der Kriegsmaschine. William Kentridges thematisiert die zunehmende Verbreitung von Aids in Südafrika in einer poetisch schönen, dadurch aber umso erschreckenderen Arbeit aus animierten Kohlezeichnungen von dürren Kuhherden und der Zeitungslektüre eines am Strand verweilenden Alter Egos.
"Aschemünder" artikuliert einen globalen, sensiblen Blick auf Krieg und die Überwindung von Traumata. Auch in Juan Manuel Echavarrias dokumentarischer Projektion "Bocas de Ceniza", die der Ausstellung ihren Namen gab, wird dies eindringlich demonstriert. In starren, sehr nahen Gesichtsaufnahmen gibt der kolumbianische Künstler die Lieder von fünf Männern und einer Frau wieder. Ihre von dem Leid der Drogenkriege geprägten Gesichter singen würdevoll und ohne zu stocken, von der Erfahrung der Massaker und ihrem Überleben. Echavarria hält diese Gesänge als Ausdruck des Krieges mit der Videoarbeit fest, um sie so in Kunst zu transformieren. "Das Wichtigste ist doch, Erinnerung zu wahren", erklärt er. Dafür wurde jetzt unter dem Haus der Kunst eine gute Grundlage geschaffen.
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